Remes; Ilkka - 5 - Höllensturz
ging er ins Internet und las die Nachrichtenüberschriften bei CNN. Dort wurde die Entführung nicht erwähnt, auch nicht auf den Seiten der BBC.
Karri öffnete die Homepage von Finnair und verglich die Abflugzeiten von Oulu, Kuusamo und Rovaniemi nach Helsinki. Am schnellsten ging es über Oulu.
Auf einmal atmete er vollkommen ruhig aus und lehnte sich auf seinem Schreibtischstuhl zurück. Warum sollte er sich beeilen? Um so schnell wie möglich einen griesgrämigen Beamten im Außenministerium jammern zu hören, es gäbe keine Informationen?
10
In Oulu versuchte Lea Alavuoti auf dem Laptop an einer Zusammenfassung ihrer Dissertation in Biotechnologie zu schreiben. Die Konzentration erforderte große Anstrengungen, aber Lea zwang sich zur Arbeit. Nur so konnte sie Erja und Anne-Kristiina aus ihren Gedanken verbannen.
Lea hatte ihre langen Locken zu einem lockeren Pferdeschwanz zusammengebunden, der über den Kragen des alten Norwegerpullis auf ihre schmalen Schultern fiel. Immer wieder schweifte ihr Blick zum Fenster ab, wo sich im Schein der Tischlampe ihr blasses Gesicht spiegelte.
Plötzlich stand sie auf, zog die Ärmel des Pullovers hoch und marschierte in die Küche, um das Geschirr zu spülen. Hauptsache etwas tun. Bloß kein Stillstand.
Warum, um Gottes willen, hatte jemand von allen Menschen auf der Welt und speziell von allen, die in Pudasjärvi lebten, ausgerechnet Erja und Anne-Kristiina töten wollen? Das war doch völlig absurd.
Erja war vielleicht manchmal anstrengend und auch nicht sonderlich liebenswürdig, aber niemand brachte einen Menschen um, weil der verächtlich über Nichtgläubige sprach.
Das Gleiche galt für Anne-Kristiina. Auch sie konnte boshaft sein, aber nun wirklich nicht so gemein, dass jemand sie ernsthaft gehasst hätte. Anne-Kristiina hatte immer gewusst, dass sie die Blicke der Männer auf sich zog, bei den Gemeindeversammlungen ein bisschen verstohlen, in der Sibelius-Akademie dafür kaum verhüllt. Und sie war fähig, aus solchen Situationen alles herauszuholen. Sie hatte rot angelaufene Männer dazu gebracht, mehr oder weniger gelungene Erklärungen zu stammeln, indem sie sie nach ihrem Verhältnis zu Jesus Christus befragte.
Lea wischte die Spüle trocken und stellte sich ans Fenster. Ein Hausbewohner tastete sich über den glatten Hof zu seinem Auto.
Sie musste wieder an Karris Anruf denken. Schon am Freitag hatte sie sich an Saaras Verhalten gestört. Zunächst war es schön gewesen, ihr Treffen, wie früher, an den Abenden nach den Gemeindeversammlungen. Aber Saara war nicht sie selbst gewesen. Sie hatte engagierter über die Bibel und Jesus geredet als je zuvor, mit seltsamer Intensität hatte sie sich an das Thema geklammert, dann wieder war ihr Ton eher kritisch-wissenschaftlich gewesen.
Auch Erja hatte komplizierter als sonst gewirkt, still und beinahe schreckhaft, aber auch besonders bissig. Und sie hatte Bier zu ihrer Pizza getrunken. Das hatte sie alle überrascht, aber niemand hatte etwas gesagt. Es war, als wäre Erjas zwiespältiger Charakter durch irgendetwas noch mehr gespalten gewesen. Nach außen hin war Erja immer schroff und aufbrausend gewesen, innerlich aber sensibel und verletzlich. Hatte von Himmelssehnsucht geredet und immer wieder für ihre Sünden um Vergebung gebeten. Bei den Gemeindeversammlungen hatte sie der Prediger so leicht in Aufruhr versetzt wie die alten Weiber, dann hatte sie nachts geschwitzt und die anderen aufgeweckt, in der Angst, ins Verderben zu stürzen, viele Male hatte sie ihr eigenes Begräbnis beweint und sich vorgestellt, was auf den Kranzschleifen stehen würde.
Auch an diesem Freitag war Erja schließlich in Tränen ausgebrochen und hatte Anne-Kristiina gebeten, sie von ihren Sünden freizusprechen. Anna-Kristiina war ebenfalls sentimentaler als sonst geworden, weshalb sie bald gemeinsam geweint hatten.
Zum Teil ließ sich Erjas Verhalten vielleicht damit erklären, dass ihre Mutter bei Erjas Geburt gestorben war. Dieses Thema war für sie tabu. Ihr Vater, ebenfalls Lehrer, war ein Laestadianer der konservativsten Sorte und hatte darum wahrscheinlich eine richtige Großfamilie im Auge gehabt, obwohl die Mutter eine Risikogebärende war, was gleich bei der ersten Geburt auch traurige Bestätigung fand. All das spiegelte sich bei Erja in einer alles überlagernden Gebärangst wider, die sie auch davon abgehalten hatte zu heiraten, denn als anständige Laestadianerin hätte sie keine Form der Empfängnisverhütung
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