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Remes; Ilkka - 5 - Höllensturz

Remes; Ilkka - 5 - Höllensturz

Titel: Remes; Ilkka - 5 - Höllensturz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilkka Remes
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    Am Freitagabend hatte Lea den Eindruck gehabt, als lägen bei Erja und Saara Wunden offen, die sich aneinander rieben. Erja hatte nie verdaut, dass Saara sich für eine Laufbahn als Bibelforscherin entschieden hatte, was ohne eine kritische Sichtweise nicht denkbar war. Erja hatte nicht begreifen wollen, dass eine kritische Sicht auf die Bibel kein Zeichen für eschatologische Abtrünnigkeit war.
    Lea selbst hatte mit diesen Fragen schon im Jahr ihres Abiturs gerungen. Sie hatte sich Fragen gestellt und angefangen nachzudenken – und war zu dem Ergebnis gekommen, dass man den Glauben nicht durch Denken ersetzen durfte. Sie hatte falsche Eingebungen gehabt, und die waren ihr verziehen worden. Aber was ihr dabei von der Gemeinde entgegenschlug, waren nicht Glaube und Kraft gewesen, sondern Angst und Beklemmung. Sie war im Begriff gewesen, sich von der Herde zu entfernen und zu verirren, weshalb der Prediger und vor allem Erja auf sie eingeredet hatten – ohne Erfolg.
    Als Lea sich schließlich entschieden hatte, Biologie zu studieren, war von Erja geradezu eine Lawine auf sie herniedergebrochen. Erja wollte nicht verstehen, dass sich das Weltbild des Menschen seit biblischen Zeiten grundlegend geändert hatte. Das Fundament, auf dem die Botschaft des Neuen Testamentes beruhte, war schlicht und einfach weit in der Geschichte zurückgeblieben. Die Wissenschaft hatte so viele neue Dinge hervorgebracht, die wiederum Raum für neue Interpretationen boten. Lange war die Wissenschaft von der Kirche unterdrückt worden. Hatte jemand Forschungsergebnisse vorgetragen, die von der kirchlichen Lehre abwichen, hatte ihm das Todesurteil bevorgestanden.
    Trotz der heute herrschenden wissenschaftlichen Freiheit hatte Lea über den wissenschaftlichen Fortschritt mehr nachdenken müssen als die meisten ihrer Kollegen. So verurteilte beispielsweise die katholische Kirche jede Form der Genmanipulation, der künstlichen Befruchtung, des Klonens, der Stammzellenforschung und vieles andere mehr. War der Glaube der Vernunft untergeordnet oder die Vernunft dem Glauben?
    Lea wusste, dass auch Anne-Kristiina zu Beginn ihres Studiums in eine andere Richtung abzudriften drohte. Aber bei den Besuchen in ihrem Heimat-Zion hatte sie die Gnade der Rückkehr erfahren. Es lebte sich sicherer, wenn es etwas gab, wofür man lebte.
    Saara hätte am Freitagabend gern über ein paar ihrer Probleme geredet, das war eindeutig gewesen. Sie hatte mit Erja unter vier Augen gesprochen und war früher als die anderen nach Hause gegangen, um ihre Sachen zu packen. Lea hatte Saara am nächsten Morgen noch einmal angerufen, aber da war sie schon auf dem Weg zum Flughafen gewesen und hatte nicht mehr auf die Themen des Vorabends zurückkommen wollen.
    Das Läuten des Telefons ließ Lea aus ihren Gedanken hochfahren. Sie wischte sich die Tränen von der Wange und nahm ab. Die Anruferin stellte sich als Kommissarin Johanna Vahtera von der KRP vor und sprach ihr mit warmer Stimme ihr Beileid aus. Sie vereinbarten, sich gleich am nächsten Morgen um acht Uhr zu treffen.
    Erja.
    Johanna Vahtera betrachtete das Foto, auf dem nicht Erja Yli-Honkila zu sehen war, sondern Erja, die Abiturientin.
    Erja trug eine dicke Brille. Sie hatte ein rundes Gesicht, das von dunklem, straff zusammengebundenem Haar eingefasst wurde. Kein Make-up, keine Ohrringe, kein Lächeln. Die Gesichtszüge an sich waren schön. Die weiße Studentenmütze saß korrekt auf dem Kopf, das Gesicht darunter war aber keineswegs ausdruckslos. Schon mit achtzehn Jahren wirkte die Frau ein bisschen wie vierzig und strahlte Ruhe und inneres Gleichgewicht aus. Genau das weckte Johannas Widerstand. Vielleicht weil sie selbst in dem Alter unsicher und ruhelos gewesen war. Sie hatte ihren eigenen – vielleicht etwas widersprüchlichen, aber zu ihr passenden – Stil erst als Erwachsene gefunden: die Kleidung lässig, ansonsten keine Kompromisse. Und von Ruhe noch immer keine Spur.
    Johanna begriff, dass sie in jeder Hinsicht ihr Gegenteil vor sich hatte. Sie stand in Erjas Zweizimmerwohnung in der Kanervatie am Nordrand der Stadt, trug einen weißen Papieroverall, Gummihandschuhe, eine Haube aus Textilverbundstoff und Einweg-Überschuhe aus Plastik. Auf den Zweigen der kleinen Eberesche im Garten lag etwas Schnee, ebenso auf dem Rasen, an den sich dichter Fichtenwald anschloss.
    In der Küche brummte der Gefrierschrank. Die Leute von der Spurensicherung hatten alles auf den Kopf gestellt, aber

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