Remes; Ilkka - 5 - Höllensturz
an dem untersten Eintrag hängen. Er war sehr sorgfältig mit Tipp-Ex unkenntlich gemacht. Auf keiner anderen Seite fand sich etwas Vergleichbares.
Johanna hielt die Seite gegen das Licht der Deckenlampe, aber die war nicht stark genug, um das Papier zu durchleuchten.
In der Diele versuchte es Johanna mit der Maglite aus dem Einsatzkoffer, aber auch deren Licht reichte nicht aus. Sie schob den Kalender in einen Plastikbeutel und legte ihn auf den Koffer.
Im Bad sah sich Johanna besonders interessiert den Wasserhahn auf der beigen Wandverkleidung aus Plastik an.
Denn das Einzige, was bislang nicht ins Bild passte, war das leichte Hämatom um Erjas Auge. Der Nachbarin zufolge hatte Erja es schon eine Woche vor dem Mord gehabt. Sie hatte behauptet, unter der Dusche ausgerutscht und gegen den Hahn geschlagen zu sein. Normalerweise sah man solche Verletzungen bei Opfern von häuslicher Gewalt, aber sie konnten natürlich auch durch Unfälle entstehen.
Johanna stellte sich unter die Dusche und probierte aus, ob es möglich wäre, mit der Augenpartie gegen den Hahn zu stoßen. Ja, das konnte gehen. Erja war entweder unter der Dusche ausgerutscht oder hatte genau getestet, ob die Wunde so hätte entstehen können. Beim Arzt war sie nicht gewesen, obwohl sie an dem Tag nicht zur Arbeit gegangen war.
Mit dem dunkelblauen Ford Focus, den man ihr zur Verfügung gestellt hatte, machte sich Johanna wieder auf den Weg. Am Mittag würde zum ersten Mal das Ermittlungsteam offiziell zusammenkommen, dann wären auch Leute aus Vantaa und Oulu dabei. Einige von ihnen waren bereits draußen unterwegs und befragten die Anwohner. Die Vorteile einer kleinen Gemeinde lagen auf der Hand: Die Leute kannten sich. Nicht zuletzt darauf gründete Johannas Hoffnung, den Fall schnell aufzuklären.
Beim Fahren ließ sie die Gedanken schweifen. Dass junge Frauen die Opfer waren, konnte im Prinzip auf einen sexuellen Hintergrund der Taten hindeuten. Möglicherweise erzählten die abgerissenen Kreuze auch ihre eigene Geschichte über die Motive des Mörders und die mit ihnen verbundenen Zwangsvorstellungen. Die wesentliche Frage war jedoch, ob man es hier mit einem Serienmörder zu tun hatte, der seiner eigenen, verqueren Logik folgte und jederzeit wieder zuschlagen konnte – oder mit einem Mörder, der aus Habgier, Eifersucht oder ähnlich Banalem getötet hatte und der nun versuchte, sein Motiv im Sumpf von Serienmördertheorien untergehen zu lassen.
Verwirrend war der geringe Zeitabstand zwischen den beiden Morden. Üblicherweise fingen Serienmörder in ziemlich großen Intervallen an und verringerten den Zeitabstand zwischen den Taten erst nach und nach. Andererseits konnte man sich schwer andere als zwanghafte Motive für einen Doppelmord an religiösen, etwa gleichaltrigen Frauen vorstellen.
Entschlossen umklammerte Johanna das Lenkrad noch fester als zuvor. Ganz gleich, wie die Motive der Ratte aussahen, früher oder später würde sie erwischt werden.
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Je mehr Informationen Karri im Netz fand, umso näher rückte die Panik. Hastig eilten seine Finger bei der Internetrecherche nach früheren Entführungsfällen im Irak über die Tastatur. Versehentlich war er einem Link gefolgt, der zu einem Video führte, auf dem ein Engländer mit einem Messer hingerichtet wurde.
Karri schlug das Herz bis zum Hals. Vor dem Fenster lag schwarz und still der See, der Himmel war bewölkt.
Die Brutalität der Entführer kannte keine Grenzen. Er zwang sich, die Berichte über die Entführungsfälle genauer zu lesen. Ein ums andere Mal waren die Geiseln geknebelt und mit verbundenen Augen und Mund vor ihren Henkern auf die Knie gezwungen worden. Karri versuchte sich von den Grausamkeiten zu distanzieren und alles so rational wie möglich zu betrachten. Noch bestand eine Chance, noch standen alle Mittel zur Verfügung.
Die entscheidende Frage war die nach dem Motiv für die Entführung. Stand eine Gruppe Kleinkrimineller dahinter, die es auf Lösegeld abgesehen hatte, oder eine religiöse Gruppierung im Heiligen Krieg? Falls ein »höheres« Motiv als Geld vorlag, wäre es sehr schwer, die Geiseln freizubekommen.
Die Bereitschaft von Menschen, zur Verbreitung ihrer religiösen Überzeugung Gewalt einzusetzen, hatte Karri noch nie verstanden. In der Beziehung waren die Christen nicht besser als die anderen. Voller Entsetzen hatte er in Saaras Büchern von Scheiterhaufen, Inquisitionen und Kreuzzügen gelesen.
Die Unabhängigkeit von jeder kirchlichen
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