Remes; Ilkka - 5 - Höllensturz
Außenministeriums, guten Morgen.«
Auf Anhieb begriff Karri nicht, was das Außenministerium von ihm wollen konnte.
Aber dann dämmerte es ihm, noch bevor die Frau weitersprach: »Sind Sie Saara Vuorios Ehemann?«
Karri räusperte sich reflexartig. »Ja.«
»Wir haben heute unangenehme Nachrichten erhalten.«
Die Worte der Frau erzeugten einen beinahe physischen Schmerz in Karris Ohr.
»Im Irak ist eine Gruppe von Ausländern entführt worden, zu der unseren Informationen nach auch Ihre Frau gehört.«
Karri umklammerte das Telefon so fest, dass er befürchtete, es würde jeden Moment zerspringen. Die Worte der Frau schienen über dem stillen See widerzuhallen, obwohl sie nur im Telefon und seinem Kopf tönten.
»Entführt? Was meinen Sie damit?«
»Wir haben keine Details – nur die Information aus Den Haag bekommen, vom niederländischen Außenministerium, weil einer der Entführten niederländischer Staatsbürger ist.«
»Luuk van Dijk«, sagte Karri automatisch.
»Kennen Sie ihn?«, fragte die Frau. Sie sprach aufgesetzt höflich, aber mit kühlem, offiziellem Unterton.
»Er ist ein Arbeitskollege meiner Frau. Haben die … haben die Entführer Forderungen gestellt?«
»Wie gesagt, wir haben noch keine Details. Und was die Forderungen angeht, so wissen Sie sicherlich, wie damit umzugehen ist.«
Nun brachte ihr Tonfall Karri in Wallung. »Ich weiß es. Zumindest die Franzosen und Italiener haben ihre Geiseln freigekauft.«
»Es ist viel zu früh, über solche Dinge zu diskutieren. Warum war Ihre Frau im Irak unterwegs? Wusste sie nicht, dass die Sicherheitslage in dem Land nur die allernötigsten Reisen dorthin gestattet?«
Der vorwurfsvolle Unterton klang in Karris Ohren geradezu frech, und er konnte sich nur mit Mühe beherrschen. »Ich glaube nicht, dass es sonderlich fruchtbar ist, Entführten die Schuld für ihr Schicksal zu geben.«
»Niemand gibt irgendjemand die Schuld. Wo sind Sie? Wäre es Ihnen möglich, nach Helsinki zu kommen?«
»Ja. Aber das dauert ein bisschen. Ich bin zu Hause, in Pudasjärvi.«
»Es hat keine Eile. Ich fürchte, wir müssen uns auf quälende Tage und Wochen einstellen, das haben frühere Fälle gezeigt. Sie können mir Ihr Kommen unter dieser Nummer ankündigen. Und eines noch«, fügte die Frau hinzu. »Sie werden sicherlich verstehen, dass sich die Medien sofort und mit aller Macht auf diese Angelegenheit stürzen, sobald sie einen Hinweis auf die Entführung erhalten. Ich hoffe, Sie wissen sich jeden Kommentars zu enthalten und überlassen die Öffentlichkeitsarbeit uns. Wir verfügen über die Ressourcen und die Kompetenzen, mit den Medien so umzugehen, dass sie möglichst wenig Probleme bei der Abwicklung des Falles bereiten.«
»Das wollte ich gerade fragen. Wie werden Sie den Fall behandeln? Was haben Sie vor?«
»Alles Mögliche. Aber es ist zu früh, über Einzelheiten zu sprechen. Wir fangen nun an, mit Hilfe des irakischen Außenministeriums Informationen zu sammeln. Unsere Spezialisten für Afrika und den Nahen Osten werden sich mit vollem Einsatz damit befassen. Wir sind bereits in Kontakt mit der Finnischen Botschaft in Damaskus gewesen, die sich um den Fall kümmern wird. Wenn nötig, werden wir auch andere Institutionen um Mithilfe bitten.«
Karri fing an, mit mechanischen Bewegungen und kraftvollen Zügen zu rudern. Ab und zu blickte er über die Schulter zu dem neuen, massiven Steg, der Meter für Meter, Zug um Zug näher kam. Er atmete tief und gleichmäßig, betont rhythmisch, im Rudertakt. Er dachte nicht an das Telefonat, an die kalte Anruferin, nicht an Saara, sondern an die gleichmäßige Bewegung der Ruder, an ihr Knarren in den Dollen, an das näher rückende Ufer und an das Holzhaus oben auf der Anhöhe. Er verbannte all die Zeitungsbilder aus der Erinnerung, auf denen Europäer oder Amerikaner in gelb-orangefarbenen Umhängen auf der Erde knieten, mit Männern im Rücken, die sich bereit machten, ihnen die Köpfe abzuschlagen.
Der Bug des Bootes fuhr neben dem Steg knirschend auf Grund. Karri stand auf, stellte den Eimer mit den Fischen auf den Steg und sprang an Land. Mit einem energischen Ruck zog er das Boot weiter ans Ufer hinauf, nahm sich aber nicht die Zeit, das Seil um die dicke Erle zu binden, eilte mit großen Schritten zum Haus und marschierte, ohne die schmutzigen Stiefel auszuziehen, zu seinem Schreibtisch.
Sicherheitshalber wählte er die Nummer von van Dijks Satellitentelefon, aber es meldete sich niemand. Dann
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