Remes; Ilkka - 5 - Höllensturz
ein Foto mit einem alten Schulhaus aus Holz. Davor standen Kinder mit Fäustlingen und dampfendem Atem, den Blick auf die finnische Fahne geheftet, die gerade gehisst wurde. Schneebedeckte Bäume fassten den Hof ein wie eine Mauer, die sie vor der bösen Welt abschirmte.
»Alpo war ein vollkommener Lehrer. Solche wie ihn gibt es heute nicht mehr. Außer Erja natürlich. Sie war ein Ebenbild ihres Vaters.«
Johanna sagte nichts. Alpo Yli-Honkila stand aufrecht und ernst mit der Bibel in der Hand da. Bei näherer Betrachtung veränderten die starre Haltung und die ängstlichen Blicke der Kinder die Atmosphäre des Bildes. Es bestand kein Zweifel, dass die Schüler in dieser Schule in der Zucht des Herrn gewesen waren.
»Alpos plötzlicher Tod war für alle ein schwerer Schlag«, sagte die Frau. »Vor allem natürlich für Erja.«
»Wie ist er denn gestorben?«
»Ertrunken. Obwohl er ein guter Schwimmer war. Man vermutet, dass er einen Herzanfall bekam. Die Arbeit eines Lehrers ist furchtbar belastend, gerade für einen gewissenhaften und besorgten Menschen wie Alpo. Von einigen Schülern wusste auch Erja schauderhafte Geschichten zu erzählen. Dabei glaube ich, dass sie über die schlimmsten Dinge nicht einmal gesprochen hat. Sie wollte die anderen immer vor dem Übelsten schützen, obwohl gerade das für sie selbst zur Last wurde.«
»Was meinen Sie mit schlimmen Dingen?«
»In der Schrift heißt es: Wenn dich die linke Hand verleitet, hacke sie ab.«
Die Art der Frau ärgerte Johanna, aber sie zwang sich zu einem warmen und vertrauensvollen Tonfall. »Sie sind ein scharfsichtiger Mensch. Ich stelle Ihnen jetzt eine sehr wichtige Frage: Können Sie sich vorstellen, was der Grund für die Morde gewesen sein könnte? Fällt Ihnen jemand ein, der sich den Mord an Erja hätte zuschulden kommen lassen können?«
Die Frau sah ihr fest in die Augen. »Ich dachte schon, Sie würden mich das gar nicht fragen.«
Johanna spürte aus Marjatta Yli-Honkila eine reine Kraft hervorquellen, als diese ohne Zögern sagte: »Den Schuldigen muss man nicht lange suchen. Der Satan wohnt in unserer Nähe. Unter uns.«
Obwohl sie das Gefühl hatte, auf dünnem Eis zu gehen, sagte Johanna ruhig: »Wenn der Satan hinter der Tat steckt, haben Sie dann eine Vorstellung davon, durch wen er sie hätte ausführen lassen können?«
Marjattas Blick ging immer tiefer. Am liebsten hätte Johanna sich abgewandt, aber sie zwang sich, in die dunklen, stechenden Augen mit den schweren Lidern zu sehen.
»Der Satan kann jede Gestalt annehmen, die ihm gefällt, aber die Wege des Herrn sind unerforschlich.«
»Sprechen Sie offen. Ist es möglich, dass die Ratte … Verzeihung … dass der Täter noch ein viertes Mal zuschlägt?«
»Ich wusste es«, flüsterte die Frau. »Ich wusste es damals schon. In ihm wohnte die fleischliche Begierde. In ihm verbarg sich der Geist des Satans, und jetzt hat er die Macht übernommen.«
»Von wem sprechen Sie?«, fragte Johanna ebenso leise, aber mit etwas strengerem Tonfall.
Die Frau schloss die Augen und schwankte leicht. »Im Namen und im Blute Jesu …«, flüsterte sie. »Ich hoffe, mir wird vergeben werden, so wie der Herr all denen vergibt, die gegen ihn gesündigt haben …«
Johanna wusste nicht weiter. Ihr Blick ging zum Fenster, vor dem das Dunkel schon etwas nachgelassen hatte. Weiße Bandagen aus Schnee leuchteten an den Ästen der Kiefern.
Die Frau sah sie schweigend an. Vor dem Abiturfoto flatterte die Kerzenflamme, obwohl Johanna keinen Luftzug verspürte.
»Ich werde das niemandem außer Ihnen sagen, hier und jetzt«, flüsterte Marjatta Yli-Honkila. »Nicht auf dem Polizeirevier, nicht vor Gericht, nirgendwo.«
Ihr Blick schien sich tief in Johannas Kopf hineinzubohren, während sie sich darauf vorbereitete, den Namen des Schuldigen zu nennen.
»Ja?« Johanna musste ihre trockenen Lippen befeuchten.
31
Karri tippte mit nervösen Fingern: www.iltasanomat.fi .
Cornelia sah ihm über die Schulter. Der Laptop stand in einem Wohnschiff, das in einer Reihe anderer Kähne in einem Kanal am Südrand von Utrecht trieb. Durch das schmale Fenster am oberen Rand der Kajüte sah man ein Hinterrad der Ente und die Reihe reich verzierter Stadthäuser auf der anderen Straßenseite.
Das Wohnschiff war unter Bohemiens einst eine bevorzugte Wohnform gewesen, aber heute war es nicht mehr sonderlich billig. Karri fragte sich, ob das Dümpeln in dem muffig riechenden Kanal Cornelias Art war zu
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