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Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln

Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln

Titel: Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Geiseln
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linken Seite hingegen blieb, wo er war, näherte sich sogar noch ein Stück. Blitzschnell überlegte Rissanen, ob man das Manöver auf die schlimmste denkbare Weise interpretieren musste: Der eine drehte ab, damit der andere schießen konnte. »Scheiße, Mann, was haben die vor?«, schrie er Sorvisto zu.
    Von seinem Platz aus blickte Vasa in Richtung Cockpit, in das Zlatan eben hineingestürmt war. Das Donnern der MiG-Kampfflugzeuge kam wieder näher, wie eine gigantische Lärmfront. Der Rumpf der Passagiermaschine erzitterte, ein Teil der Geiseln kreischte auf. Dann schaukelte die Kabine heftig und neigte sich jäh nach vorn. Das Schreien nahm zu. Wasserflaschen, Plastikbecher und andere lose Gegenstände flogen durch die Luft.
    Vasa umklammerte die Armlehnen. Die plötzliche Sturzbewegung zog im Magen, im Kopf wurde ein Gefühl der Schwerelosigkeit ausgelöst und veranlasste ihn, die Augen zu schließen. In einem ungeordneten Strom erschienen Bilder aus seiner Kindheit in seinen Gedanken, er lag mit Fieber im Bett, seine Mutter kümmerte sich um ihn ... Er spürte ihre weiche, kühle Hand auf der Stirn, er sah ihre blaugrünen Augen unmittelbar vor sich, die aufmunternd lächelnden Lippen ... Sein Vater stand besorgt in der Tür, mit einem Glas Wasser in der Hand, ein stattlicher Mann, in seinem Rücken rötliches Licht aus dem Flur... Als die Maschine abrupt wieder in normale Position kam, schlug Vasa die Augen auf. Er drehte sich zu seinem Vater um. Der drückte den Kopf fest gegen die Rückenlehne, die Hände umklammerten die Armlehnen so fest, dass die Knöchel weiß durch die Haut schimmerten.
    Vasa stand auf und ging, sich dabei an den Sitzen abstützend, zum russischen Botschafter. »Kommen Sie mit ins Cockpit! Schnell. Dann dürfen Sie mit eigenen Worten sagen, was passiert, wenn man uns behindert.«
    Unregelmäßig atmend saß Johanna in Notlandehaltung auf ihrem Platz. Sie hatte diese Haltung sofort bei Beginn des Sturzfluges eingenommen. Heinonen war ihrem Beispiel gefolgt.
    Noch als die Maschine wieder in horizontaler Position war, hielt Johanna die Stirn auf die Knie gedrückt und versuchte sich zu beruhigen. Ihre Interpretation lautete, dass ein Kampfflugzeug sie attackiert hatte. Aber was für ein Kampfflugzeug? In welche Richtung flogen sie? Die Panik in der Maschine ließ allmählich wieder nach. Die Frau des britischen Botschafters klang hysterisch, die ganze Zeit schon hatte ihre Stimmung extrem geschwankt. Mal schluchzte sie, mal ließ sie ihren Zorn an ihrem Mann aus. Ihr wütendes Getuschel war Johanna bereits zu Beginn des Fluges aufgefallen. Die Frau machte ihrem Mann Vorwürfe, weil er sie in dieses finstere, abgelegene Finnland geschleift hatte, in das sie nie und nimmer hätten kommen dürfen.
    Langsam drehte Johanna den Kopf und begegnete Heinonens angstvollem Blick. Der Mann war blass und schwitzte.
    Nun blickte Johanna vorsichtig nach vorn und sah Bewegung in der Business-Class. Vasa stieß den russischen Botschafter vor sich her ins Cockpit. Warum? Als Dolmetscher? Um zu gewährleisten, dass die Maschine in den russischen Luftraum durfte? Der Osten würde in gewisser Weise ins Bild passen, besser jedenfalls als der Westen. Lag hier auch die Erklärung dafür, dass der hochrangige Russe unter den Geiseln war, obwohl Serbien und Russland seit jeher eng miteinander verbunden waren?
    Alle in der Maschine waren erschrocken, aller Wahrscheinlichkeit nach auch die Geiselnehmer, weshalb jetzt der Moment gekommen war, das Durcheinander auszunutzen. Johanna atmete mehrmals tief durch und versicherte sich selbst, dass sie fähig war, vernünftig zu handeln. Noch immer in Notlandehaltung kauernd, streckte sie langsam einen Arm aus. Sie hoffte, dass die Kollegen sich an das gehalten hatten, was Jahre zuvor bei einer Schulung von KRP und SK Bär vereinbart worden war: Falls eine Passagiermaschine an Terroristen übergeben werden musste, sollten eine kleinkalibrige Handfeuerwaffe und kleine technische Spezialgeräte unter dem Sitz mit der Nummer 17 B versteckt werden. Aus diesem Grund hatte Johanna sich Platz 18 B ausgesucht.
    Sie griff mit der Hand unter den Sitz vor sich. Als sie auf etwas Hartes stieß, durchfuhr sie eine Welle der Erleichterung. Die Waffe steckte in einem Stoffbeutel, der mit Klebeband unter dem Sitz befestigt war. Laut Vereinbarung müsste der Beutel zusätzlich einen Peilsender mit Funkmikrofon beinhalten. Johanna stand also eine Waffe zur Verfügung - und ein Profi mit

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