Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln
dass es in Richtung Osten geht. Richtung Russland. Das kennen Sie ja.« Der Präsident sagte nichts, sondern starrte nur auf die Rückenlehne vor sich.
»Ziemlich bedeutungsschwere Gegend für euch, dieses Russland«, fuhr Vasa fort. »Deswegen tretet ihr auch nicht der Nato bei, obwohl ihr praktisch längst dazugehört. Sie kennen meine Meinung als Serbe zur Nato, aber eure Position interessiert mich auch aus der Perspektive der internationalen Politik. Offenbar habt ihr ein geheimes Abkommen, demzufolge Finnland von der Nato Hilfe erwarten kann, wenn ein Dritter Weltkrieg ausbricht und Russland beschließt, seine Interessenssphäre zu erweitern. Dem finnischen Volk wird von dem Abkommen bloß nichts verraten.«
Auf den Lippen des Präsidenten bildete sich ein trockenes Lächeln. »Finnland hat keine Geheimabkommen mit der Nato.«
»Nicht? Das ist aber dumm. Wissen Sie, warum?«
Der Präsident antwortete nicht, sondern blickte weiterhin starr geradeaus.
»Ihr traut euch nicht, der Nato beizutreten, weil ihr euch vor der Reaktion Moskaus fürchtet. Aber das ist überflüssig. Russland zählt euch nämlich schon jetzt zu seinen Feinden. Seitdem ihr in den 90er Jahren eure Militärtechnik den Nato-Forderungen angepasst habt. In Moskau sitzen keine Idioten, die eure Beteuerungen von der militärischen Neutralität Finnlands glauben. Mit Wortgeklingel kann man niemanden täuschen. Dort hat man sehr wohl gesehen, wie Finnland sich an den Rockschoß der Nato gehängt hat. Man hat sich nicht einmal groß darüber gewundert, sondern einfach Gerät an die Grenze verlegt, und zwar eine Menge.«
Der Präsident rutschte gequält auf seinem Sitz hin und her. Vasa wies mit dem Kopf leicht nach hinten. »Mein Vater gehört zur Führung der serbischen Armee. Er verfügt über enge Beziehungen zu den Offizieren unseres Brudervolkes. Nur wenige Monate bevor man ihn gefangen nahm, traf er den russischen Kollegen, der im Juni 1999 mit seinen Fallschirmspringereinheiten den Flugplatz von Pristina besetzt hatte und sich weigerte, Nato-Truppen dorthin zu lassen. Bei dem Treffen sprachen sie auch über die an Russland angrenzenden Gebiete, unter anderem über Finnland. Und wissen Sie was?«
Vasa beugte sich etwas näher an den Präsidenten heran. »In Russland lacht man über die blauäugigen finnischen Dummköpfe. Die massive Militärkonzentration, die Putin in der Oblast Pskow zusammengezogen hat, steht. Und im Kreml sitzt mit Präsident Rozanow jetzt ein Mann, über dessen Ziele man ebenso wenig weiß, wie man über Putins Ziele wusste. Der Kollege meines Vaters von der Fallschirmspringerdivision war in der Oblast Pskow in der Nähe von St. Petersburg stationiert, wo sich einer der Hauptstützpunkte der Transportluftwaffe befindet. Sowohl die Fallschirmspringerdivision als auch die Transportluftwaffe braucht man zur Durchführung eines strategischen Angriffs. Die Truppen sind innerhalb von zwanzig Minuten in Helsinki.«
Der Präsident sah Vasa nicht an, und er schien sich auch sonst nicht für dessen Worte zu interessieren.
»In den Augen Moskaus ist Finnland ein Nato-Staat, ein feindliches Land, ganz egal, ob das Beitrittsabkommen von Ihnen unterschrieben worden ist oder nicht. Die Russen ziehen an der Grenze zu Finnland einen Block für Distanzeinsätze der Luftwaffe zusammen. Sie machen Manöver an der Grenze und testen euer Reaktionsvermögen bei Grenzverletzungen, genau wie man es an feindlichen Grenzen macht. Ihr finnischen Politiker wollt davon einfach nichts wissen, ihr redet es euch schön. Ihr seid genauso gutgläubige Deppen wie die Schweden.« Plötzlich packte Vasa den Präsidenten am Kinn, drehte das Gesicht in seine Richtung und sagte: »Für Russland ist es sehr wichtig, euch so lange wie möglich von Artikel 5 des Nato-Vertrags fernzuhalten. Mit allen Mitteln. Glauben Sie mir.«
Jasmin sah Vasa in der Business-Class den Präsidenten piesacken. Slobo saß wenige Reihen hinter den beiden. Sie hätte sich gern neben Slobo gesetzt und mit ihm über alles geredet, aber das war nicht klug. Sie hätten Schwedisch und Englisch sprechen müssen, und dann hätten die Geiseln alles verstehen können. Der Schock nach der Festnahme war verflogen, allmählich wurde Jasmin wieder sie selbst. Sie begriff, was für eine enorme Leistung das unter diesen Umständen war. Trotzdem stimmte es: Sie war ruhig und aufmerksam und hatte keine Angst. Sie verließ sich auf Vasa. Nicht auf Slobo und die anderen, sondern auf Vasa. Slobo war
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