Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln
Top-Ausbildung, der aber freilich gefesselt in der hintersten Sitzreihe saß.
Langsam richtete sie sich auf. Hinter ihr übergab sich jemand in die dafür vorgesehene Tüte.
Heinonen seufzte tief und lehnte sich zurück. Johanna fragte sich, ob sie jeden Moment von Kampfflugzeugen zum Landen gezwungen werden würden. Aber vorläufig ging es gleichmäßig weiter. Vasa kam mit dem russischen Botschafter aus dem Cockpit zurück. Mit grauem Gesicht setzte sich der Diplomat wieder auf seinen Platz. Die Stimmung löste sich ein wenig. Einer der Geiselnehmer verteilte Trinkwasser in kleinen, mit Alufolie verschlossenen Bechern.
»Hätten wir nicht ein bisschen was Stärkeres verdient?«, sagte eine sattsam bekannte Stimme lautstark in holprigem Englisch.
Die Passagiere um Ala-Turpeinen herum verstummten.
Ein Geiselnehmer baute sich vor ihm auf.
»Leider können wir keine alkoholischen Getränke anbieten«, sagte der Mann in fast komisch sachlicher Weise. »Wir müssen alle einen klaren Kopf behalten, für den Fall, dass unsere russischen Freunde Dummheiten machen.«
»Ich verstehe«, sagte Ala-Turpeinen kleinlaut und mit rotem Kopf. »Mein Gott«, flüsterte Heinonen. »Der Kerl bringt sich noch um Kopf und Kragen.«
Johanna antwortete nicht, sondern spekulierte innerlich fieberhaft, wo die Serben sich die Landung vorstellten. Doch nicht etwa in Serbien?
Sie merkte auf, als Vasa sich wieder zum Präsidenten in die erste Reihe begab.
»Unsere russischen Freunde wollen uns demonstrieren, dass sie nicht schlafen«, sagte Vasa zum Präsidenten und zur Premierministerin. Die finnische Staatsführung saß kreidebleich da, schwieg und rührte sich nicht vom Fleck.
»Ich komme noch einmal auf unser Gesprächsthema von eben zurück. Ihr seid eifrig dabei, zur Beruhigung von Krisenherden auf der ganzen Welt eure Hilfe anzubieten, nein, aufzudrängen. Aber ihr seid nicht bereit, Hilfe anzunehmen, wenn ihr sie zufällig selbst braucht. Das Verweigern von Sicherheitsgarantien ist ein Fehler. Denn falls sie doch einmal in der Praxis gebraucht werden sollten, kann es sein, dass sie nicht mehr im Angebot sind. Wenn das Haus brennt, ist es zu spät, um eine Versicherung abzuschließen.«
Der Präsident seufzte voller Überdruss. »Sie malen den Teufel an die Wand. Erzählen Sie mir mal, wer einen solchen Weltenbrand verursachen sollte.«
»Ich bin in Universitätskreisen oft auf solche Tagträumer wie Sie gestoßen. Aber ich hätte nicht geglaubt, dass so einer den Platz eines Staatsoberhauptes einnehmen könnte. Solange es Menschen auf der Welt gibt, haben sie gegeneinander gekämpft ... Das letzte Jahrhundert war das kriegerischste in der Geschichte. Nur wenige Jahre vor Ihrer Geburt wurden Millionen Menschen getötet. Und dann, aus einer Laune des Schöpfers heraus, soll die Spirale der Gewalt einfach mal für ein paar Jahrzehnte aussetzen?«
»Ich werde nicht mit Ihnen anfangen zu diskutieren ...«
»Nur zu. Wir haben Zeit. Nichts anderes als Zeit. Also gut, Sie glauben daran, dass alle Kriege ausgefochten sind, dass die Menschen gut geworden sind, dass es keine Weltenbrände mehr geben wird und Ihr Volk in ewigem Frieden leben kann. Großartig.« Vasa machte eine kurze Pause, dann schrie er den Präsidenten dermaßen an, dass die gesamte Passagierkabine verstummte: »Sind Sie so dumm, oder tun Sie bloß so? Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie moderne Europäer sich gegenseitig umbringen. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie normale Angestellte den Anzug ausziehen und Tarnkleidung anlegen, wie normale Männer aus dem Mittelstand ein Gewehr in die Hand nehmen und losziehen, um die Einwohner der Nachbarstadt abzuschlachten !«
Voller Zorn stand Vasa auf.
»Haben Sie nicht wenigstens einen Mitarbeiter, der Sie über die Realitäten der Weltpolitik aufklärt? Die Menschheit hat noch nie vor Konflikten gestanden, wie sie jetzt zu erwarten sind. Die Endverteilung der nicht erneuerbaren Ressourcen fängt in Kürze erst an. Energie, Religion, Trinkwasser, Migration, Bevölkerungsexplosion ... Die Kriege des 20. Jahrhunderts waren die Ouvertüre, nicht der Schlusspunkt. Je mehr Menschen auf den Geschmack des Konsums kommen, umso enger wird es auf unserem kleinen Planeten. Die Konflikte werden einen ganz neuen Charakter annehmen, es kann sein, dass wir Fälle von Staatsterror erleben werden, in Ländern, von denen man geglaubt hat, sie würden nie mehr in einen Krieg verwickelt werden. Schauen Sie doch mal nach Moskau! An
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