Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln
»Das war nur ein Millionending. Kleinkram. In Helsinki warten zig Millionen auf uns. Hunderte, wenn ihr wollt. Wir legen die Summe selber fest.«
Vasa sah, dass die Männer ihm zuhörten. Er hatte schon immer als das Gehirn der Gruppe fungiert. Die latente Autorität dazu verlieh ihm das Ansehen seines Vaters und der gesamten Familie. Jetzt brauchte er sie dringender als je zuvor.
Torna schien Zweifel zu haben.
»Deine Helsinki-Idee ist ein Tagtraum«, sagte er. »Aber es kann sein, dass ich als Ersatz für Eskilstuna etwas Vernünftiges anzubieten habe. Das heißt, eigentlich kommt der Vorschlag von Marek.«
Was Vasa da hörte, gefiel ihm überhaupt nicht. Marek Kadi-jevic wurde für ein Genie gehalten, das es weit gebracht hätte, wenn es wenigstens ansatzweise zum Umgang mit anderen Menschen fähig gewesen wäre. Er war ein einsamer Wolf, ein schwieriger Typ, der an seinem Computer große Pläne ausbrütete. Während des Kosovokriegs war es ihm gelungen, von Belgrad aus die Homepage der Nato zu sabotieren, indem er sie mit leeren Dokumenten bombardierte. Dadurch wurden die Informationssysteme der Nato natürlich zum Ziel von Virusattacken. Nachdem er nach Stockholm gekommen war, hatte Marek Vasa und seinen Kumpels beim ersten Überfall geholfen, indem er in das Intranet der betroffenen Sicherheitsfirma eingedrungen war. Seitdem hatte er sporadisch seine Dienste verkauft.
»Großartig«, sagte Vasa kühl. »Mareks Plan bringt mit Sicherheit Millionen ein, ohne jedes Risiko.«
»Genau, sonst würde Marek gar nicht erst damit anfangen«, stimmte Danilo ein.
»Er soll uns selbst erzählen, was er sich ausgedacht hat«, sagte Torna und rief Marek an.
Vasa konnte Torna nicht daran hindern, denn das hätte Verdacht erregt. Falls Marek käme, würde er mit seinem alten Porsche zwanzig Minuten für die Strecke brauchen.
Vasa beschloss, die Zeit dafür zu nutzen, um seine eigene Idee zu verkaufen.
»In Helsinki hätten wir es mit einem echten Risiko und mit einem echten Gewinn zu tun«, sagte er. »Das Risiko ist vielleicht größer, als es in Eskilstuna gewesen wäre. Aber das gilt auch für den Gewinn.« Er breitete eine Karte über dem Stadtplan von Eskilstuna aus, der noch auf dem Tisch lag, und nahm einen Stift zur Hand.
»Ich war heute dort, vor der Residenz des Präsidenten. Erst an Ort und Stelle habe ich kapiert, dass uns wirklich nichts am Erfolg hindern kann, wenn wir das durchziehen.«
Vasa hörte keinen einzigen spöttischen Kommentar, sondern sah interessierte Blicke ihre Aufmerksamkeit auf den Stift richten, der sich auf die Karte senkte, auf das Häuserviertel, das von den Straßen Nördliche Esplanade, Mariankatu, Aleksanterinkatu und Helenankatu eingefasst wurde. Er stellte den anderen seinen Plan vor und versuchte erst gar nicht, seinen Eifer und seine Selbstgewissheit zu verbergen. Eine Viertelstunde später kam Marek lässig herein. Er trug eine abgewetzte Lammfelljacke, schwarze Jeans und seltsame Basketballschuhe, die vermutlich irgendwo auf der Welt gerade groß in Mode waren. Vom Kleidungsstil durfte man sich jedoch nicht täuschen lassen. Vasa hatte Marek auch schon in einem maßgeschneiderten Nadelstreifenanzug aus der Londoner Savile Row gesehen. Der Mann war ein Chamäleon, das sicherlich auch in der legalen Wirtschaft Erfolg gehabt hätte.
Marek kam direkt zur Sache, wie es seine Art war. Mit wenigen Worten schilderte er, dass er in letzter Zeit beim Hacken Informationen aus den Datenbanken von internationalen Transport-und Kurierfirmen herausgeholt hatte. Der größte Teil der Fracht, die sie transportierten, war Volumenware, aber hin und wieder liefen sehr kostbare Lieferungen mit. Zu deren Schutz engagierte man Sicherheitsfirmen oder nahm die Polizei in Anspruch. Oft war es aber besser, einfach möglichst wenig Aufsehen zu erregen, anstatt sichtbare Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Die wertvollsten Frachten versuchte man möglichst im Geheimen zu transportieren.
»Ich habe mich besonders für bestimmte Posten interessiert, die regelmäßig von China aus über die Schweiz hierher nach Stockholm, zum Flughafen Arlanda kommen«, sagte Marek. »Die nächste Lieferung wird am 7.12. und die darauf folgende am 27.12. eintreffen. Beiden Lieferungen ist eine Bewachung der Klasse eins zugeteilt worden, obwohl nur wenige den Wert der Fracht überhaupt erkennen würden. In den Frachtpapieren steht >Shikimisäure<, was praktisch niemandem etwas sagt. Trotzdem werden in der Maschine
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