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Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln

Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln

Titel: Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Geiseln
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Sonnenbrille eines Soldaten erkennen. Der Lärm war ohrenbetäubend. Der Luftstrom riss einigen Frauen die Hüte vom Kopf, zerrte an Schals und den bescheidenen Blumengebinden.
    Vasa stand nach wie vor regungslos da, hielt die Hand mit der Erde von sich gestreckt und musterte die durcheinandergeratene Trauergemeinde. Einige Offiziere erhoben das Gewehr gegen die Hubschrauber. Die Lähmung, die Vasa gerade noch vollkommen erfasst hatte, schlug in blinde Wut um. Wie konnten sie es wagen, sogar ein Begräbnis zu stören? Aus einer plötzlichen Eingebung heraus schleuderte er die Handvoll Erde zum Himmel, den Hubschraubern entgegen.
    »Beruhigt euch«, bat einer der Offiziere. »Die Salutschüsse haben sie veranlasst, nachzusehen, was los ist.«
    Vasas Augen wurden feucht, er war voll von machtlosem Hass und voller Rachsucht. Die Erde flog im Wind, und ein Teil davon rieselte auf den Sarg.
    In diesem Augenblick kam Vasa eine Idee. Sie kam wie aus dem Nichts, auch wenn sie vielleicht schon länger irgendwo in seinem Innern gegoren hatte. Mit dieser Idee würde er das schwierigste Problem der Operation 6/12 lösen können.
23
    Bei einem Unfall im Kosovo kamen fünf in Stockholm wohnhafte Serben ums Leben.
    Vasa starrte auf die zweispaltige Meldung in der Ausgabe der schwedischen Zeitung >Expressen< vom 1. Dezember, die er am Helsinkier Hauptbahnhof gekauft hatte.
    Er hatte zwar damit gerechnet, dass der Zwischenfall aufgrund der Anzahl der Opfer die Nachrichtenschwelle überschreiten würde, aber trotzdem ließ ihn die gedruckte Nachricht nun zusammenfahren. Er schaute auf das Foto von dem zu einem Metallhaufen zusammengequetschten Van, der von der Serpentinenstraße am Cakor-Pass in eine Schlucht gestürzt war.
    Nachdem der Fahrer die Kontrolle über das Fahrzeug verloren hatte, brach es durch einen Zaun und stürzte fast dreihundert Meter in die Tiefe. Die schwer verbrannten, 22- bis 52-jährigen Opfer werden morgen nach Stockholm überführt...
    Vasa reichte die Zeitung an den schweigenden Torna weiter. Jasmin blickte ihm über die Schulter und las mit. Slobo lag in dem hohen, halbdunklen Zimmer auf dem Holzboden, die Ohrhörer seines iPod in den Ohren, die Augen geschlossen. Zlatan saß am Tisch und las in einem Buch. Danilo tippte im Sessel auf seiner PSP-Konsole herum. In der Küche hantierte Stanko mit Töpfen und Geschirr.
    Nur Vasa und die anderen Mitglieder der Gruppe wussten, dass die Toten in dem Wagen von einem in Pec lebenden früheren Kollegen von Zlatan beschafft worden waren. Dieser wiederum hatte behauptet, sie in einer Leichenhalle im Kosovo gekauft zuhaben - allesamt obdachlose, einsame Männer, die niemand vermissen würde.
    Vasa trat ans Fenster und blickte über den Helsinkier Marktplatz, der unmittelbar am Hafen lag. Die Residenz des Präsidenten, die sich dahinter erhob, veranlasste ihn, die Fäuste zu ballen. Der Himmel war bewölkt, der kurze Tag grau und kalt. Für den Abend war leichter Schneefall angekündigt.
    Vielleicht war es gut, wenn die Nachricht von dem Unglück in serbischen Kreisen in Stockholm weite Verbreitung fände. Jetzt erfuhren alle, dass Torna, Zlatan, Slobo, Danilo und Stanko tot waren.
    Nur Stanko hatte Frau und Kinder, und der Gedanke an die abgrundtiefe Trauer seiner Angehörigen versetzte Vasa einen Stich. Stanko selbst wies den Gedanken zurück, er stellte sich lieber die Freude des Wiedersehens vor, in ein paar Jahren, an einem Strand mit Palmen. Torna hatte in Schweden lediglich einige Freunde, Zlatan war ein einsamer Wolf. Danilos Eltern wohnten in Sona, sie hatte die Nachricht natürlich schwer erschüttert.
    Es gab keine Rückkehr, alles Alte war gestorben. Buchstäblich. Vasa wandte sich vom Fenster ab. Die Zeitung war bei Stanko gelandet, der inzwischen aus der Küche gekommen war und den Artikel im Stehen las. Die Stimmung war gedämpft und angespannt.
    Nach seiner Rückkehr von Radovans Beerdigung hatte Vasa seinen Freunden eine einfache Frage gestellt: Wer macht mit? Es ging um eine große Entscheidung, darum hatte er den Mähnern Bedenkzeit gegeben. Das Resultat hatte ihn nicht mehr überrascht. Alle waren bereit gewesen, mitzumachen. Keiner hatte etwas zu verlieren, alle wollten sich den Traum von der grenzenlosen Freiheit erfüllen. Bei der Vorbereitung hatten sie eine genaue Arbeitsteilung vorgenommen. Marek hatte sich um seinen Part selbstständig gekümmert.
    Jetzt, am 2. Dezember, war alles bereit. Fünf lebendige tote Männer und eine finnische Frau

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