Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln
Stück für Stück weiter von der Residenz wegschob.
Am nördlichen Rand des Marktplatzes stand ein großer GMCLieferwagen mit US-Diplomatenkennzeichen. Als Johanna näher herankam, stellte sie fest, dass die Sicherheitsleute der amerikanischen Botschaft versuchten, mit der Polizei zu verhandeln -ohne großen Erfolg. Die Amis mussten in ihre Botschaft zurückgeschickt werden, das war klar, denn es durften nicht auch noch Köche von außen den Brei verderben. Wie die anderen Gäste des Präsidenten auch, musste der amerikanische Botschafter in der Residenz sehen, wie er zurechtkam. Johanna näherte sich dem Palais. Neben einem Zivilfahrzeug der Polizei hatte sich eine kleine Gruppe von Männern zur Beratung versammelt. Johanna erkannte Rinne, den stellvertretenden Polizeipräsidenten von Helsinki, der nun die Einsatzleitung innehatte, da sich der Polizeipräsident selbst in der Residenz befand. Hedu war nicht zu sehen, auch Vuokko und Johannas andere Kollegen fehlten noch.
Vor der Residenz blieb Johanna einen Moment stehen, um sich zu sammeln. Nach außen hin wirkte das Gebäude friedlich, fast heimelig. Der kleine, gemütliche Präsidentenpalast eines kleinen, friedlichen Landes, weit weg von der großen, bösen Welt.
Johanna ging mit beschleunigtem Schritt weiter und wäre beinahe über den Bordstein gestolpert. Sie lief auf die beiden großen Sendewagen des Finnischen Fernsehens zu, die in der Mariankatu standen.
Da hörte sie, wie jemand auf der anderen Straßenseite »Johanna« rief. In der halbdunklen Zone zwischen zwei Straßenlampen stand ein kleiner Mann, der sich ein Telefon ans Ohr hielt: Jorma Helste, der Vizechef der Zentralkripo KRP, winkte ihr mit der freien Hand zu. Sein sorgfältig polierter Volvo-Kombi war auf dem Bürgersteig geparkt.
Johanna ging zu Helste hinüber, der im Begriff war, sein Telefonat zu beenden: »... zusehen, dass er einen Installateur findet, der sich mit Heizung und Belüftung des Gebäudes auskennt. Der Verwalter der Residenz wüsste natürlich Bescheid, aber der ist drinnen. Und Koski kommt bald, der hat die Pläne.«
Oberkommissar Juhani Koski war der Chef der Sicherheitsabteilung der Verkehrspolizei, die zusammen mit der Sicherheitspolizei für den Personenschutz des Präsidenten zuständig war. Koski unterstand direkt dem Vizechef der Verkehrspolizei und dem ersten Adjutanten des Präsidenten.
»Johanna Vahtera ist übrigens schon hier, sie steht gerade neben mir.« »Sieh zu, dass in Sachen Rettung und Versorgung genügend Kräfte eingesetzt werden«, sprach Johanna dazwischen. »Da drin sind eine Menge Leute und eine Menge Waffen und Sprengstoff versammelt. Als Erstes muss der Rettungsplan für das Gebäude hervorgekramt werden.« »Sämtliche Krankenhäuser in der Hauptstadtregion müssen in Alarmbereitschaft versetzt werden. Außerdem sollen weitere Krankenund Notarztwagen hierhergeschickt werden und der P2. Der soll beurteilen, welche Ressourcen benötigt werden.« Damit beendete Helste das Gespräch. Der P2, von dem er gesprochen hatte, war der Dienst habende, für Einsätze verantwortliche Chef der Rettungsleitstelle. Für die Residenz des Präsidenten existierten genaue Sicherheits-, Rettungs- und Evakuierungspläne, und die wurden möglicherweise bald dringend gebraucht.
Helste und Johanna standen eine Weile schweigend nebeneinander und schauten sich um. Dann trafen sich ihre Blicke. Falls die Informationen, die sie bislang erhalten hatten, zutrafen, hatten sie es hier mit einem Geiseldrama zu tun, das auch in der internationalen Kriminalgeschichte seinesgleichen suchte.
»Hast du schon etwas über ihre Ausrüstung erfahren?«, fragte Johanna. ±113
»Ja, hab ich.« Die Augen hinter Helstes dünnem Brillengestell verfinsterten sich. »Eine Bazooka, unter anderem. Übrigens hat mich Sarimo aus der Residenz angerufen, gleich als es losging.«
Das überraschte Johanna. Kai Sarimo, der Chef der Zentralkripo, war nicht gerade als Mann mit starken Nerven und Urteilsvermögen bekannt. »Was hat er gesagt?«
»Es war ja nicht viel Zeit. Er hat versucht, ein Bild der Lage zu geben, ist aber schnell unterbrochen worden. Jetzt haben wir in Finnland auch endlich echte Terroristen«, sagte Helste kaum hörbar. »Sollten wir schon mal die Armee um Hilfe bitten?«
»Solche Entscheidungen werden auf höherer Ebene getroffen.« »Eigentlich schon, aber die höhere Ebene ist komplett in der Residenz versammelt, samt Polizeidirektor, Innenminister, den Staatssekretären
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