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Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln

Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln

Titel: Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Geiseln
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hören waren. Sachte öffnete sie die Tür vor sich. Sofort wurden die Stimmen lauter. Um die Ecke blickte man in den Staatssaal, wo sich noch immer viele Menschen drängten. In einer ungeordneten Reihe schlängelten sie sich an Vasa und zwei Fernsehreportern vorbei, und Vasa pickte einzelne Personen heraus und kommandierte sie in den Spiegelsaal. Wie die Juden an der Rampe von Auschwitz, dachte Johanna.
    Sie ließ den Blick über die Personen schweifen, die einige Meter entfernt mit dem Rücken zu ihr standen. Das schien das ausgefranste Ende der Selektionsschlange zu sein. Der Polizeidirektor, der Chef der KRP oder sonstige Angehörige der Polizeiführung waren nicht zu sehen. Sie erkannte nur Wirtschaftsminister Heinonen, von dem sie wusste, dass er Junggeselle war. Der etwa 50-jährige Mann mit Halbglatze trat nervös von einem Bein aufs andere und schien vor sich hin zu murmeln.
    Je länger sie sich umsah und die Situation einschätzte, umso deutlicher nahm Johannas Plan Gestalt an. Von den Geiselnehmern war keiner zu sehen. Sie schlich sich näher an die vor ihr stehende Gruppe heran und trat schließlich neben eine Frau, die sie nicht kannte. Diese warf ihr einen überraschten Blick zu. Johanna bedeutete ihr, nach unten zu blicken, worauf die Frau die Dienstmarke in Johannas Hand bemerkte. »Folgen Sie mir!«, flüsterte Johanna.
    Die blonde Frau schüttelte ängstlich den Kopf.
    »Vertrauen Sie mir, es ist wichtig«, sagte Johanna fordernd. Die Frau zögerte einen Moment, aber dann nickte sie unsicher. Johanna beschloss, sofort zu handeln, bevor sie es sich anders überlegte. Sie hielt nach den Geiselnehmern Ausschau, nahm die Frau an der Hand und führte sie mit wenigen Schritten um die Ecke. Vor einer Tür, die für das Personal bestimmt war, blieb sie stehen, schob die Frau hinein und folgte ihr.
    »Ich bin Johanna Vahtera von der Zentralkripo«, flüsterte sie. »Es tut mir leid, aber ich muss mir ihr schönes Kleid borgen.«
    Zum Glück schien der Verstand der Frau auch in Krisensituationen zu funktionieren. Sie stellte keine Fragen, sondern blickte nur ausdruckslos auf Johannas Jeans, die sie bei dem Tauschgeschäft bekommen würde. »Und ich? Ich kann doch nicht in Jeans zurückgehen? Die werden fragen...«
    »Ich bringe Sie in Sicherheit, machen Sie sich keine Sorgen ... Aber jetzt tauschen wir die Kleider. Schnell.«
    Die Frau drehte sich um. »Öffnen Sie den Reißverschluss.« Kurz darauf hatte Johanna ein violettes, schimmerndes Abendkleid an, das ihr ein wenig zu eng war. Die Frau wiederum trug etwas zu weite Jeans und einen roten Rollkragenpullover.
    »Make-up?«, fragte Johanna.
    Die Frau holte eine Puderdose, Wimperntusche und einen Lippenstift aus ihrer Handtasche. Johanna schminkte sich rasch, dann führte sie die Frau zu der Tür, durch die sie selbst hereingekommen war, und versteckte ihre Dienstmarke in einer Lücke zwischen den Kartons. »Falls Sie im Dunkeln nicht weiterkommen oder sich unsicher fühlen, warten Sie dort. Sie werden mit Sicherheit gerettet werden.«
    Wenig später schob sich Johanna zwischen die Leute und begab sich neben den Wirtschaftsminister. Der unruhig wirkende Heinonen sah sie fragend an.
    »Ob Sie es glauben oder nicht, aber ich bin jetzt Ihre Frau«, flüsterte Johanna. Bevor Heinonen, der bereits die Augenbrauen hob, etwas sagen konnte, fügte sie hinzu: »Johanna Vahtera von der KRP. Ich bin so lange Ihre Frau, bis das hier vorbei ist.« Heinonen wirkte irritiert, weshalb Johanna glaubte, sie müsse alles noch einmal wiederholen, aber dann schien sich der Mann dank der Geschmeidigkeit des Politikers doch schnell mit seinem neuen Familienstand zu arrangieren.
    »Ist es unter Eheleuten nicht üblich, sich zu duzen?«, flüsterte er. »Ich heiße Kari.«
    »Johanna.« Johanna zwang sich zu einem Lächeln. Sie hatte zusehends Bedenken, weil ihr das geliehene Kleid eine Nummer zu klein war. Bei den Schuhen machte sich das gleiche Problem höchstens durch etwas ungeschicktes Gehen bemerkbar, aber bei dem Kleid drohten ihr die Brüste aus dem Ausschnitt zu hüpfen. Dem Blick nach zu urteilen, mit dem er sie musterte, war das auch Heinonen aufgefallen.
    Johannas Blick hingegen wanderte über die Schar der Geiseln. Jetzt entdeckte sie den Polizeipräsidenten sowie einige weitere hochrangige Beamte. Sie alle standen getrennt voneinander.
    War das Unfähigkeit oder Feigheit? Oder gezielte Vorsicht?
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