Remes, Ilkka - 8 - Tödlicher Sog
von dir?«, fragte die Mutter am Küchentisch. »Nichts. Ich weiß nicht.« Mechanisch schob sich Roni die Pizza in den Mund. Was war in seinen Vater gefahren? War etwas passiert?
Plötzlich überkam Roni das Gefühl, die Polizei könnte jeden Moment auftauchen und ihn mitnehmen. Wie lange konnte man mit so einem Gefühl leben? Jahrelang? Den Rest seines Lebens? Sein Vater behauptete, in Spanien würde es in Vergessenheit geraten, aber da täuschte er sich. Es gab Dinge, die konnte man nicht vergessen.
»Sag mir, was du auf dem Herzen hast«, ermunterte ihn die Mutter. Roni lachte kurz auf. »Was soll ich auf dem Herzen haben?«
Seine Mutter blieb ernst. »Vielleicht wäre es besser, wenn du doch über Julia reden würdest.«
Roni erschrak beinahe, bis ihm einfiel, dass er selbst darum gebeten hatte, nicht über den Fall zu sprechen.
Er konnte nicht anders als seufzen.
»Weißt du etwas, das mit dem Mord zu tun hat?«
Roni merkte, wie er rot wurde. Diese Reaktion entsetzte ihn mehr als die Frage seiner Mutter - würde er auch bei der Polizei rot werden, wenn man ihn das nächste Mal befragte?
»Wie sollte ich etwas über den Mord an Julia wissen?«
»Hast du etwas gehört? Du erinnerst dich bestimmt, was ich damals gleich am Anfang über Julia gesagt habe. Nettes Mädchen, aber nicht unbedingt so, wie es auf den ersten Blick scheint.«
Roni nickte. Er erinnerte sich an den Kommentar seiner Mutter. Auch Kimmo gegenüber war sie stets misstrauisch gewesen.
»Ich hab die Freunde von früher lange nicht gesehen. Bloß Jenni ein paarmal. Von Julia weiß ich nichts.«
»Dir ist doch klar, dass du zur Polizei gehen musst, wenn du auch nur das Geringste weißt, das bei den Ermittlungen helfen kann?«
»Natürlich.«
Roni sah seiner Mutter in die Augen. Er wollte mit jemandem reden, er musste mit jemandem reden, irgendwann ... Mit seinem Vater konnte er das nicht richtig tun. Sein Vater verdrängte alles, er hielt seine Gefühle unter Verschluss und handelte wie ein Roboter. Das musste irgendwie mit seiner eigenen Jugend zu tun haben, aber darüber redete er nie.
»Kann sein, dass du recht hattest, was Julia anging«, sagte Roni schließlich mit leicht zitternder Stimme.
Seine Mutter erwiderte nichts, sondern wartete, dass er weitersprach. Roni merkte, wie seine Augen feucht wurden. Beherrsch dich, sagte er sich innerlich. Andererseits wäre es nicht gefährlich, zu heulen. Seine Mutter hätte Verständnis dafür. Seltsamer wäre es, wenn er nicht auf Julias Tod reagieren würde.
»Du weißt, dass du mit mir über alles reden kannst.«
Roni nickte, jetzt mit noch größerem Kloß im Hals. Es stimmte, er hatte immer mit seiner Mutter über alles reden können. Man konnte ihr vertrauen. Sie war sogar zu vertrauensselig. Als Valtteri an die falschen Freunde geraten war, hatte seine Mutter das als Erste gewusst. Sie hätte etwas unternehmen und womöglich die ganze Tragödie verhindern können, aber sie hatte ihrem Sohn gegenüber loyal sein wollen und darum vor dem Vater alle Probleme verheimlicht.
Das hätte sie nicht tun sollen. Zumindest in den ersten Jahren hatte sie sich schuldig gefühlt, doch nicht genug, jedenfalls nach Meinung des Vaters. Die Scheidung der beiden hatte direkt mit Valtteri zu tun gehabt. Innerhalb der Familie galt dies wenigs tens als der offizielle Grund. Über andere mögliche Gründe hatte sich Roni nicht den Kopf zerbrechen wollen. Es hatte ihm genügt, dass sein Vater ihn bedingungslos im Motorsport unterstützt hatte und seine Mutter immer bereit gewesen war, ihm zuzuhören und Verständnis entgegenzubringen, wenn das Verhältnis zu seinem Vater gerade mal angespannt war.
»Was meinst du damit«, fragte die Mutter, »dass ich recht hatte, was Julia angeht? Rede mit mir! Auch wenn du nicht mit der Polizei sprechen willst.« Diese Worte trafen ihn, obwohl er wusste, dass seine Mutter sie anders gemeint hatte, als sie in seinen Ohren klangen.
»Hat es etwas mit Julias Onkel zu tun?«, fragte die Mutter weiter. »Weißt du irgendetwas über die Esten?«
»Ich weiß nichts über den Mord an Julia, das habe ich doch schon gesagt. Aber Julia hat versucht ...« Seine Stimme brach, und er fing an, heftig zu schluchzen.
Da läutete es an der Tür.
Die Mutter fuhr zusammen. »Wer kann das sein?«
Roni stand auf, riss sich etwas Küchenpapier von der Rolle und schnäuzte sich. Seine Mutter öffnete die Wohnungstür. »Was willst du denn hier?« »Ich komme, um Roni abzuholen«, sagte
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