Remes, Ilkka - 8 - Tödlicher Sog
nicht schon zur Genüge vergeblich durch die Gegend gerannt«, seufzte Tero, aber Toomas ließ sich nicht irritieren.
»Ich hatte mich getäuscht. Hinter der Anatoli-Marcus-Connection muss noch etwas Aktuelleres stecken als die Dinge, die direkt mit der Estonia zu tun haben. Was ist der Schlüssel zu allem? Was für einen gemeinsamen Nenner haben alle Aspekte, auf die wir bislang gestoßen sind?«
Tero hörte schweigend zu.
»JAS Gripen«, sagte Toomas. »Das ist jetzt klar. Die geheimen Transporte, die für Gripen durchgeführt wurden, sind einer der Gründe für die Vertuschungen im Fall Estonia. Und um Gripen geht es auch jetzt.«
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»Das zieht hier ja ganz schön«, sagte die Frau mittleren Alters, die auf dem Oberdeck der Silja Symphony schlotterte. Ihre beiden Kinder, ein Junge und ein Mädchen, hatten Spaß an den flatternden Haaren und spähten über die Reling.
Tero lehnte neben ihnen und schaute nervös auf die asphaltierte Fläche, wo in mehreren Spuren Autos darauf warteten, aufs Schiff fahren zu können. Tero und Roni hatten versucht, auf das Autodeck zu kommen, aber das wurde erst geöffnet, wenn mit dem Beladen begonnen wurde.
»Lehnt euch nicht so über das Geländer«, wies die Mutter ihre Kinder zurecht und wandte sich an ihren Mann. »Ich krieg langsam Angst, weil es so windig ist.«
»Ach was«, brummte der Mann, der sich für die Worte seiner Frau genierte. »Bei so einem großen Schiff macht sich der Wind überhaupt nicht bemerkbar«, sagte er und warf den umstehenden Männern verstohlene Blicke zu.
Tero blickte auf das unter einer Wolkendecke liegende Stockholm. Jenseits des Hafens ragten Wohnblocks stufenweise an einem Hang auf, und in der Ferne blinkte das rote Licht des Fernsehturms über der Stadt. Tero und Roni hatten gemeinsam entschieden, nach dem Strohhalm zu greifen, den Toomas ihnen angeboten hatte. Würde das nichts bringen, müssten sie sich in Helsinki erneut entscheiden: für die eilige Ausreise aus Finnland und anschließende Flucht - oder polizeiliche Ermittlungen, langwierige Gerichtsverfahren und möglicherweise jahrelange Haft für ein Verbrechen, das Roni nicht begangen hatte. Und Tero würde wegen Beihilfe belangt werden. Für den Rest ihres Lebens trügen sie das Stigma des Kriminellen. Tero wurde schwindlig, wenn er daran dachte, was für Möglichkeiten seinem talentierten Sohn offen gestanden hätten. Es war klar, dass sich Callaghan nicht zufällig bemüht hatte. McLaren war ehrlich an Roni interessiert. Tero erschrak, als Roni an Deck erschien und er das Gesicht seines Sohnes sah. Roni hatte nur auf die Toilette gehen wollen, aber seine Erregung ließ vermuten, dass er etwas Wichtiges erfahren hatte.
»Ich habe Jenni angerufen«, sagte er, sobald er vor Tero stand. »Sie hat durch das, was die Polizei sagt, den Eindruck gewonnen, dass Julias Leiche um zwei Uhr nachts gefunden wurde. Ich war kurz nach zwölf dort. Alles passt zusammen. Der Mensch, den ich gesehen habe, war nicht derjenige, der sie gefunden hat.«
Tero schaute seinen Sohn an, dessen Gesicht einen geradezu herzzerreißenden Eifer verriet. »Du kannst nichts beweisen. Du kannst nur berichten, was du gesehen hast.«
»Und das glaubt mir niemand. Jedenfalls nicht mehr.« Seine Energie war mit einem Schlag verflogen.
Tero blickte wieder auf den Platz des Terminals, wo die Autos auf die Abfertigung warteten. »Sie lassen die Fahrzeuge aufs Schiff. Gehen wir.« Mit dem Lift fuhren sie in den Bauch der Fähre hinunter und kamen dann an eine rote Metalltür. Hinter den eisernen Wänden dröhnten die Motoren. Auf einer Treppe ging es weiter nach unten in die billigste Kabinenklasse, die sich unter dem Autodeck und unter der Wasserlinie befand. Tero konnte den Gedanken an die Estonia-Passagiere nicht unterdrücken, die sich in der Nacht des Unglücks in solchen Kabinen befunden hatten. Mittlerweile wusste er, dass ausgerechnet die Passagiere, die unter dem Autodeck gewesen waren, gerettet wurden, weil seltsame Geräusche und Wasser auf den Gängen sie frühzeitig um ihr Leben rennen ließen. Die Untersuchungskommission aber 155
hatte das eingetretene Wasser auf den untersten Decks schlicht nicht berücksichtigt; auch nicht die schabenden Geräusche am Schiffsboden, die auf einen Zusammenprall hindeuteten und die Reisenden ganz unten aufschrecken ließen.
Roni drückte auf die rote Halbkugel an der Wand. Mit einem Zischen glitt die Metalltür vor ihnen zur Seite. Die Fahrzeuge wurden von Matrosen
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