Remes, Ilkka - 8 - Tödlicher Sog
ein letztes Mittel, mit dem er Roni retten und die Wahrheit ans Tageslicht bringen konnte. Es barg ein gewaltiges Risiko, aber es war die einzige Chance. Sie hatten nichts mehr zu verlieren.
»Hast du gehört? Was er gesagt hat, will ich wissen.« Roni richtete sich auf dem Bett auf.
Tero schwieg weiterhin und sammelte dabei alle seine Kräfte. Er musste jetzt rational denken und handeln. Seine Gefühle musste er begraben, die Erinnerungen ebenso. Er musste tun, was unausweichlich war. Er spürte, wie sich ein leichtes Zittern in seinen Gliedern breitmachte.
»Was ist los mit dir?« Roni sah seinen Vater besorgt an. »Was hat Toomas gesagt?«
Tero stand auf und zog sich die Schuhe an.
»Wo gehst du hin?«, fragte Roni.
»Ich bin bald zurück.«
»Was ...«
»Du bleibst hier.« Tero machte die Tür auf und war schon auf dem Gang, als er sich noch einmal umdrehte. Er nahm die Plastiktüte mit der Videokassette und dem Briefumschlag vom Tisch und versteckte sie unter der Matratze. Roni schob sich ein Stück Toblerone in den Mund und trank Wasser aus der Flasche. Das Benehmen seines Vaters machte ihm Sorgen. Wo war er hingegangen? Er war nun schon eine Viertelstunde weg.
Endlich klickte das Schloss. Intuitiv spannte Roni die Muskeln an, bis er sah, dass tatsächlich sein Vater mit einer Plastiktüte aus dem Tax-free-Shop über die Schwelle trat.
»Wo warst du?«
Tero antwortete nicht, sondern nahm ein Brotmesser und einen Strang orangefarbener Nylonschnur aus der Tüte.
Roni staunte. »Was soll das? Wo hast du das her?«
»Das Messer stammt aus einem der Restaurants. Schnur gibt es auf dem Schiff überall.«
»Die ist von einem Rettungsring.«
Der Vater schaute ihm in die Augen. »Ein Rettungsring ist für Notsituationen gedacht. Jetzt haben wir eine.«
Roni war nun ernstlich besorgt. »Was hast du vor?«
»Nach dieser Schiffspassage werden wir die Männer kaum noch zu Gesicht bekommen«, sagte der Vater merkwürdig ruhig. »Jetzt haben wir unsere letzte Chance. Verstehst du?«
Roni nickte unsicher.
Im skandinavisch-provencalischen Bistro Maxime auf Deck 6 der Silja Symphony trat die Bedienung zu einem betont aufrecht sitzenden, grauhaarigen Mann an den Tisch und legte dem Gast die Rechnung hin. Jonas Hellevig, der zum Abendessen eine Portion Muscheln verspeist hatte, zog sein Portemonnaie heraus. Für diese Reise hatte er sämtliche Kreditkarten daraus entfernt, damit er nicht aus Versehen mit einer von ihnen bezahlte. Das war ihm nämlich schon mal passiert. Der Seegang hatte zugenommen, und die Weingläser auf dem Tisch stießen klingend gegeneinander. Die festlich gekleideten Dinergäste lächelten über das gelegentliche Torkeln der Bedienungen.
Nykvist und Makarin hatten nach der gemeinsamen Mahlzeit einen Drink in der Panorama-Bar vorgeschlagen, aber Hellevig hatte gesagt, er wolle ordentlich ausschlafen. Morgen sei ein Tag, der ihm viel abverlange, und Alkohol beeinträchtige die Qualität seiner Nachtruhe. Obwohl er sich in ausgezeichneter Form befand, hatte er mit zunehmendem Alter gelernt, auch Schwächen einzugestehen. Ein Glas guten französischen Weißweins zum Essen genügte ihm.
Die beiden Kollegen hatten sich also ohne Hellevig in die Bar begeben. Hoffentlich konnte sich Nykvist, der Frauenheld, wenigstens an diesem Abend vom Nachtclub und von Tanzpartnerinnen fernhalten, dachte Hellevig, obwohl er wusste, dass er sich unnötig Sorgen machte. Zumal Nykvist von »Mr. Smile« begleitet wurde, dem ernsten und völlig humorlosen Sergej Makarin, der garantiert dafür sorgte, dass sein schwedischer Kompagnon auf dem Pfad der Tugend blieb.
Hellevig nahm einen Fünzigeuroschein aus dem Portemonnaie und legte ihn zu der Rechnung. Er hatte seine Partner zwar ermuntert, sich in der Bar einen Drink zu genehmigen, sich mit ihnen jedoch in einer guten halben Stunde in seiner Kabine verabredet. Er wollte noch einmal mit ihnen den Ablauf des nächsten Tages durchgehen. Hellevig wusste, dass seine Kollegen ihn 160
für penibel hielten, aber es durfte nichts dem Zufall überlassen bleiben - schon gar nicht dieses Mal.
Nykvist und Makarin hatten keine Ahnung, wie viel für ihn auf dem Spiel stand. Er würde nicht zulassen, dass irgendein geringfügiges Detail den Plan kaputt machte, der sein Leben retten sollte.
Es waren erst wenige Wochen vergangen, seitdem er vom drohenden Konkurs der Firma erfahren hatte, und es war eine totale Überraschung für ihn gewesen. Das auf Militärelektronik
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