RENAS VERSPRECHEN (German Edition)
wenn wir von der Arbeit zurückkommen.
„Sie erwarten die Russen“, lä ss t ein Mädchen mich wissen.
Eine Bombe fällt auf ein Feld und hinterlä ss t dort einen rie sigen Trichter, aber niemand kommt dabei zu Schaden. Die Transporte rollen unentwegt an, die Gaskammern töten pau senlos, die Krematorien brennen andauernd. Die ersten paar Tage sind deprimierend. Wir haben unsere geheimen Essensra- tionen verloren und vermissen den Kontakt zu Stasiu Artista. Die Männer aus der Küche, die uns den Morgentee bringen, trauen sich nicht mehr, uns Nachrichten zu übermitteln, bis die Situation als sicher eingeschätzt werden kann. Ohne unser alltägliches Ritual sind wir verloren. Wir hungern und dürsten nach Neuigkeiten vom Krieg.
Der alte, nur allzu vertraute Trott fängt wieder an. Wir wer den um vier Uhr morgens geweckt. Wir stehen auf zu den schroffen Befehlen: „Raus! Raus!“
Der Tee kommt. Ich stehe in der Schlange, um mir meinen Becher füllen zu lassen, doch als ich an der Reihe bin, flüstert der Servierer: „Marek wartet unten auf dich.“ Er schenkt mir Tee ein und macht weiter. In meinem Köpft hämmert es so heftig, da ss mir die Ohren klingen. Danka schaut in mein gerö tetes Gesicht, als ich nach unten eile.
Er lehnt im Flur an einem Tisch und breitet die Arme zu ei ner Umarmung aus.
„Marek! Was machst du?“, flüstere ich kaum vernehmbar so nervös bin ich.
„Du wolltest nicht mit mir weglaufen, also mu ss ich zu dir kommen.“ Er zieht mich dicht an sich heran. „Schon so lange sehne ich mich danach, dich festzuhalten.“
„Ich bin wohl nicht mehr ganz bei Verstand, hier mit dir zu sammen zu sein. Man könnte uns beide erschie ss en.“
„Das wäre es wert, und wenn auch nur für einen Ku ss .“ Er beugt seinen Kopf und kü ss t mich, doch ich bin nicht in der Stimmung, seinen Ku ss zu erwidern. „Das war schön.“ Er sitzt auf dem Tisch, zieht mich auf seinen Scho ss und hält mich fest. Ich kann der beruhigenden menschlichen Wärme nicht wider stehen, dem Verlangen, fest und zärtlich umfangen zu werden, ich küsse ihn lange und liebevoll.
„Das war’s wirklich wert!“ Er lächelt. „Und jetzt mu ss t du nach oben gehen, ehe jemand dich vermi ss t, und ich mu ss mich von hier wegschleichen.“
„Sei bitte vorsichtig. Ich würde sterben, wenn dir etwas zu stö ss t.“
„Mir wird nichts passieren. Ich bin von der Gestapo gefol tert und geprügelt worden - was kann da noch kommen?“ Ich sage nichts darauf. Ich nehme seine narbigen Hände und strei che über die Stellen, wo einst seine Fingernägel gewesen sind.
„Wirst du mich heiraten, wenn wir frei sind?“
„Marek, woher sollen wir wissen, was sein wird?“ Wir küs sen uns noch einmal, ehe ich nach oben flüchte. Danka und Dina warten schon auf mich, und gemeinsam laufen wir drei aus dem Block und nehmen unsere Positionen für den Anwesenheitsappell ein. Mein Gesicht glüht, mein Bauch ist so zuge schnürt, da ss ich nicht einmal das Stückchen Brot runterbringe, das ich vom letzten Abend aufgespart habe.
Vier Uhr morgens.
„Raus! Raus!“
Wir werden mit dem Befehl geweckt, uns zum Appell auf zustellen, dann müssen wir losmarschieren. Verwirrt, aber ge horsam bewegen wir uns in ordentlichen Fünferreihen durchs Tor. Aus den Augenwinkeln werfen wir uns mi ss trauische Blicke zu, senden mit unserem Blinzeln Warnungen wie einen stillen Morsecode.
Als wir uns den elektrischen Zäunen von Birkenau nähern, verlä ss t uns der Mut. Das Orchester spielt, als wir unter der In schrift ARBEIT MACHT FREI durchmarschieren. Das ganze Frauenlager steht still und blickt auf eine Plattform.
„Halt!“ Wir halten an und drehen uns dem Galgen zu.
Wir warten. Das Lager wartet.
Drexler betritt die Plattform. „Heute werden wir der Hin richtung einer Gefangenen beiwohnen, die zu fliehen versucht hat. Das erwartet euch alle, wenn ihr je daran denken solltet, aus Auschwitz zu fliehen!“
Man bringt Mala hoch auf die Plattform. Sie ist ruhig, ge lassen.
Drexler redet weiter, wie dumm Mala doch war, zu glau ben, sie könne dem Dritten Reich entfliehen. „Wir werden die Welt regieren“, erinnert sie uns. Mir fällt Aufseherin Grese ein, die mir von Madagaskar erzählt hat. Wir werden immer Sklaven sein, es gibt keine Hoffnung. Es macht keinen Sinn, sie zu bekämpfen. Sie sind überall. Drexiers Stimme dröhnt weitet, flö ss t uns Angst und Bangen in die Venen.
Mala steht da und hält ihre Hände leicht nach
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