RENAS VERSPRECHEN (German Edition)
en werden. Diese zer brechlichen Wesen werden auf die Ladeflächen getrieben als wä ren sie Kartoffelsäcke, die man einen auf den anderen lädt. Mein Magen dreht sich um. Einen schwachen Moment lang geht mir durch den Kopf, da ss man sie vielleicht doch nicht so gut behandeln wird, wie ich das gedacht hatte, doch ich verjage diesen Gedanken. Sie haben es eilig, tadle ich mich. Wir sind so v i ele; sie haben nur vorübergehend nicht daran ge dacht, sie sanft zu behandeln.
Viele der Mädchen neben mir winken denen, die weg ge bracht werden, zum Abschied. Ich sehe mir ihre bedrückten Gesichter an, und mir wird bewu ss t, da ss mein Gebet zum Teil erhört worden ist. Ich habe keinen, dem ich zuwinken kann, und einen kurzen Augenblick lang empfinde ich ein klein we nig Dankbarkeit. Wenigstens war es nicht dieser Ort, wo ich mich von meiner Familie verabschieden mu ss te. Es sind zu viele Tränen, und der Schmerz ist so frisch, wenn die Mütter und Töchter um mich herum auseinandergerissen werden. Ich schlie ss e meine Augen, aber meine Ohren kann ich nicht ver schlie ss en.
„ Auf Wiederseh en, Papa!“
„Auf Wiedersehen, Mama!“
Auf meinem linken Stiefel ist ein Schmutzfleck. Ich spucke mir in die Hand und bücke mich, um ihn wegzureiben. Der Stiefel ist wieder wei ss .
„ Aufstellen! Stellt euch i n Fünferreihen auf! Raus! Raus!“ Die Gefangenen treiben uns mit Stöcken an. Die SS hält ihre Gewehre auf uns gerich tet. Wir sind Zivilisten und nicht vertraut mit militärischem Drill. Unbeholfen stellen wir uns auf.
„ Marsch! In der Reihe bleiben! Wer nicht in der Reihe bleibt wird erschos sen! Marsch!“ Einta usend Mädchen-Frauen mar schieren in unzulänglichem Gleichschritt, in unzulänglichen Fünferreihen durch die Eisentore von Auschwitz. Über unseren Köpfen stehen in Schmiedeeisen die Worte ARBEIT MACHT FREI, und wir glauben, was das Schild uns sagt.
„ Wir- sind jung “, reden wir uns ein. „Wir werden hart ar beiten und dafür die Freihei t erhalten. Wir werden schon sehen, was passiert.“ Doch nach au ss en hin marschieren wir wie Verdammte. Es regnet, eisig, wie Märzregen eben ist. Wir sind in Gedanken versunken, aber es ist zu kalt, um viel zu überle gen. Alles ist grau. Mein Herz wird grau.
Männer in gestreiften Jacken, Kappen, Hosen ste hen ent lang der Stacheldrahtzäune und beobachten uns. [2]
Ihre Augen sind stumpf. Ich denke mir, das mu ss eine Irren anstalt sein, aber warum müssen Geisteskranke arbeiten? Das ist nicht fair.
Ich verstehe die Welt nicht mehr. Ständig sage ich mir vor, ich komme aus gutem Haus, bin gut erzogen, gut gekleidet Ich habe sehr hübsch au sgesehen, als ich in der Slowake i in meinem schönen Kostüm zur Kaserne ging, wenn es auch jetzt nicht mehr so gut aussieht. Doch meine wei ss en Stiefel sind hübsch und makellos, denn ich habe sehr darauf geachtet, ni cht in irgendwelchen Schmutz zu t reten. Als ich durch dieses Tor gehe, vergesse ich meinen Entschlu ss und denke einen Au genblick lang an das, was ich zu Hause gewesen bin. Ich bin ein ordentlicher Mensch. Ich sol lte nicht hier sein. Ich bin an ders. Ich komme aus einer guten Familie. Das Verlangen, mich in die warme Decke vergangener Erinnerungen zu kuscheln, mischt sich mit meinem Bemühen, Schritt zu halten.
Vergi ss das jetzt , Rena, gehe ich gegen meine Schwäche an, das gehört der Vergangenheit an. Ich starre auf die stachel draht umzäunten Ländereien um uns. Das ist die Wirklichkeit.
„Halt!“ Wir erstarren selbstzufrieden und gehorsam unter den Gewehren und Wachtürmen um uns herum. Von der Lagerstra ss e gehen reihenweise Ziegelbauten ab, dahinter eine hohe Mauer mit Stacheldraht. Wir werden gezwungen, uns vor der Türe des ersten Blocks aufzustellen. Zeit verstreicht. Sind es Stunden oder Tage? Ich bin irgendwo am Ende der Reihe, als auf der anderen Seite Leute ohne Haare auf dem Kopf herauskommen.
Ich beuge mich zu dem Mädchen, das neben mir steht, und flüstere: „ Da sind noch mehr Verrückte. Wir müs sen in einer Irrenanstalt sein.“ Sie nickt zustimmend.
„Sophie! Ich bin es!“, schreit eine der irren, kahlen Ge stal ten einem Mädchen in der Nähe zu.
„ Freida? Bist du es? Was habe n sie mit deinem Haar ge macht?“, ruft Sophie zurück.
„Frag nicht.“ Ihr kahler Kopf dreht sich um un d prüft, ob ihr jemand zuhört. „ Wenn du Schmuck hast, tritt ihn in den Schmutz.“
Ich betrachte die Uhr, die ich trage. Ich kann das Gelächter der Kinder von
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