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RENAS VERSPRECHEN (German Edition)

RENAS VERSPRECHEN (German Edition)

Titel: RENAS VERSPRECHEN (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rena Kornreich Gelissen , Heather Dune Macadam
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lande. Ich drehe mich um, weil ich der Frau mit dem Baby helfen will. Ein Stock berührt mei ne Schulter: „Mach schnell.“ Ich suche nach den Augen, die zu dieser Stimme gehören, aber nur tiefe schwarze Höhlen starren mir ins Gesicht.
    „Aufstellen!“ Die Befehle sind schneidend, Peitschenhiebe, die auf glänzende Lederstiefel treffen, unterstreichen sie.
    „ Werft eure Koffer hier herüber “ , schreit die SS.
    Ich stelle meinen aufrecht hin, ordentlich neben den wach senden Haufen, und wende mich dann an einen der SS-Wachleute: „ Wie sollen wir unsere Koffer denn später wiederfinden?“ Ich halte mich für ein menschliches Wesen, ich habe ein Recht zu fragen.
    „Aufstellen und Mund halten!“, brüllt er mir ins Gesicht und zeigt dabei mit seiner Waffe auf mich. Ich bekomme eine Gänsehaut. Er sieht nicht, da ss ich ein Mensch bin.
    Hier hängt ein Geruch in der Luft, den ich nicht deuten kann. Es riecht nicht nur nach menschlichen Abfällen oder Menschen, die sich tagelang nicht gewaschen haben, wenn diese Gerüche auch vorherrschen. Es ist der Geruch der Angst, der die Luft um mich herum durchdringt. Und diese Angst sitzt überall, in den Augen der Männer und Frauen um mich herum, in unseren Kleidern, in unserem Schwei ss .
    Das Baby lebt nicht mehr, aber seine Mutter bemerkt nicht, wie schlapp die Gestalt in ihrem Arm ist. Ihr verzweifeltes Festhalten an seiner Leiche ist gespenstisch. Zuviel passiert hier. Alles ist so übereilt, so dem Zufall überlassen, da ss es un möglich ist, einen Sinn hinter dem Ganzen zu sehen. Ich suche in der Menge nach einer Richtung, nach jemandem, der mir sagt, warum wir hier sind und was uns erwartet. Ich sehe ihn.
    Er steht vor uns, überlegen und e ngelhaft hat er alles unter sein er Kontrolle, sagt uns, ob wir diesen oder jenen Weg gehen sollen. Er ist so ordentlich und kultiviert in seiner grauen Uni form; er ist hinrei ss end. Ich lächle in seine blauen Augen in der Hoffnung, da ss e r mich als die sieht, die ich bin.
    „Möchtest du das Kind weggeben?“, fragt er die Frau mit dem toten Baby.
    „ Nein. “ Sie schüttelt wild den Kopf.
    „Geh da hinüber“ , sagt er.
    Wie freundlich von ihm, da ss er sie nicht auf das tote Kind aufmerksam macht, denke ich im Stillen. Wie freundlich von ihm, sie zu der Gruppe der offensichtlich Schwächeren zu schicken. Die Älteren und die sehr Jungen bilden eine eigene Gruppe, abgesondert von uns anderen, die wir kräftiger sind und lange, harte Stunden Arbeit zu leisten vermögen. Ich habe keine Ahnung, wie viele Männer, Frauen und Kinder auf dem Bahnsteig stehen, aber jedem von uns wird gesagt, da ss wir uns entweder auf die rechte oder auf die linke Seite zu stel len ha ben. Für uns ist di e Richtu ng ohne Bedeutung. Ich frage mich, wohin der Mann in Grau mich wohl schicken wird . [1]
    Eltern versuchen ihre Kinder in den Arm zu nehmen, ehe sie ihnen weggenommen werden. „ Wir müssen arbeiten. “ Sie v ersuche n einander zu trös ten. „ Du bist noch so klein, da ss du nicht mit uns arbeiten mu ss t. Gro ss mama wird sich um dich küm mern...“, versichern sie ihrem Fleisch und Blut. „Alles wird gut werden, du wirst schon sehen. Es wird dir besser gehen wenn du nicht bei Mama und Papa b leibst.“ Dann werden Mama und Papa getrennt.
    Ich kann es nicht ertragen, Kinder weinen zu hören. Das ist Wahnsinn. In meinem Kopf dreht sich alles. Weil ich mich unbedingt auf etwas konzentrieren will, auf irgend etwas, das mich von diesem Weinen ablenkt, starre ich den Mann in Grau an. Er ist so überwältigend, da ss er meiner Ansicht nach auch rücksichtsvoll sein mu ss . Jedem seiner Befehle wird gehorcht. Die SS unterwirft sich ihm sofort und antwortet: „Heil, Hitler!“
    Sein Finger deutet auf mich. Ich reagiere darauf, indem ich mich auf die Seite der anderen jungen arbeitsfähigen Frauen stelle. Wir am anderen Ende des Lagers beneiden die Gruppe, die nicht zu arbeiten braucht. Sie werden irgendwo hingehen, wo es warm ist, irgendwohin, wo man sich ihrer annehmen wird. Es ist natürlich, so zu denken - wir sind Menschen, wir gehen davon aus, das s man uns alle wie Menschen behandeln wird. Halb fasziniert beobachte ich, was vor sich geht, ehe ich in den Nebel abgleite, wo kein Sinn mehr gefragt ist. Das ist keine Tagträumerei mehr, das ist ein Elektroschock.
    Lastwagen kommen an und laden die Alten, die Kranken und die Ba by s auf. Nichts Liebenswürdiges, nichts Besorgtes ist mehr in der Art wie sie hineingesto ss

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