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RENAS VERSPRECHEN (German Edition)

RENAS VERSPRECHEN (German Edition)

Titel: RENAS VERSPRECHEN (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rena Kornreich Gelissen , Heather Dune Macadam
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Tieren gleich, gebannt von der Laterne des Bauern, erstarren wir zur Reglosigkeit. Die Luft durchdringt unsere Lungen. Wir haben vergessen, wie Frische riecht - zart und sü ss , nicht bei ss end, wie im Wagen.
    „ Werft eure Toten raus!“ Die Befehle sind stumpf ge gen un seren Schmerz.
    Die Körper werden so nachlässig hinausgesto ss en wie der Eimer ausgekippt wird. Zu schnell schlägt die Tür wieder zu und trennt die äu ss ere Welt von unseren Sinnen. Jetzt, wo wir eine Vergleichsmöglichkeit hab en, ist die Enge noch ersticken der als zuvor. Der Zug nimmt seine endlose Fahrt wieder auf.
    In meinem Gedächtnis ist diese Reise nur ein verschwommenes Bild. Ich habe keine Ahnung, ob es drei Tage oder fünf Tage her ist, seit ich meine Briefe an Danka und Schani schrieb. Langsam fange ich an mir zu wünschen, ich könnte meine Meinung ändern und mich verstecken. Ich wünschte, ich könnte Danka einen Brief schreiben, um sie zu warnen. Ich habe einen entsetzlichen Fehler gemacht. Ich darf darüber nicht nachdenken - es gibt kein Zurück.
    Ich habe keinen Happen mehr zu essen. Wasser hat es die ganze Zeit nicht gegeben. Es ist nichts mehr übrig, was den wachsenden Geschwüren in unseren Mä gen Linderung brin gen könnte.
    Denn noch sind sie keine Expe rten im Transport menschli cher Fracht. Es gibt so viele Zwischenhalte, da ss ich es aufge be, sie zu zählen, und mir meine Energie für wichtigere Dinge aufhebe. Mein Kopf ist schwer wie nasser Sand, der durch ein Netz ohnmächtigen Dämmerns gesiebt wird. Ich denke an nichts.
    Die Frau stillt ihr Baby. Die Stimmen um mich her um er zählen Geschichten. Ich habe nichts, das ich mit je mandem tei len könnte. Irgendwann einmal höre ich jemand fragen: „ Ist hier jemand aus Po len?“
    Ich antworte nicht gleich. Es braucht Zeit, einzuordnen, was meine Ohren gehört haben. Als ich einen Blick durch das trübe Abteil voll fremder Mens chen werfe, erinnere ich mich. „Ich bin Polin!“
    „ Können Sie die Schilder lesen, an denen wir vorbeifah ren?“ Die Männer in unserem Waggon heben mich hoch, so da ss ich durch die verbarrikadierten Fenster hoch oben über unseren Köpfen die Schilder entlang der Gleise sehen kann.
    Der Wind peitscht mir in die Augen. Als ich meine Muttersprache, mein Heimatland wiedererkenne, mu ss ic h gegen den Schmerz ankämpfen. „Wir sind in Polen“ , sage ich von hoch über den Köpfen.
    „Wohin werden sie uns bringen?“ Spekulationen und Theo rien werden durchgesprochen, doch es blei ben vor allem offe ne Fragen.
    „Was machen sie?“ Unsere Stimmen lassen die Luft erstarren.
    Dann ist nur noch das Geräusch der Räder auf den Gleisen, Metall auf Metall; selbst das Baby hat zu weinen aufgehört.
    Es ist, als wäre ich in einem Tunnel, an dessen Ende es kein Licht gibt und nichts, was den Angriff der Dun kelheit aufhal ten könnte. Die Gesichter um mich herum haben sich im Lauf der Tage verändert, und alle stehen kurz davor, den Verstand zu verlieren. Es ist, als wäre die Welt all ihrer Farben verlustig gegangen und als wären Schwarz, Grau und das Wei ss meiner Stiefel die einzigen Schattierungen im Spektrum. In diesem na ss kalten, stinkenden Waggon beschlie ss e ich, was ich tun mu ss , um zu überleben. Alles, was mich daran erinnert, was einmal war - meine Kindheit, meine Ver gangenheit, mein Le ben - , mu ss in den geheimen Winkeln meines Unterbewu ss ten weggesperrt werden, wo es sicher und unbehelligt überdauern kann. Die einzige Wirklichkeit ist jetzt. Nichts anderes zählt .

AUSCHWITZ
     
    D ie Bremsen quietschen mit derartiger Endgültigkeit, da ss wir instinktiv wissen, unsere Reise ist zu Ende. Die Türen werden aufgesto ss en und lassen einen trübgrauen Dunst her* ein. Wir blinzeln gegen das Licht, das uns in den Augen brennt. Auf dem Schild steht AUSCHWITZ.
    „ Raus aus den Waggons ! “ , lautet der deutsche Befehl. Erst verdutzte Gesichtet; dann machen wir uns daran, unsere Sa chen einzusammeln.
    „Macht schnell!“ Männer in gestreiften Kappen und Uni formen sto ss en uns mit Stöc ken und flüstern uns leise zu: „ Geht schnell weiter . Wir wollen euch nicht wehtun.“ Die SS hat ihre Gewehre im Anschl ag und zwingt diese armen Gefan genen, auf uns einzuschlagen, damit wir aus den Waggons springen. Und halbtot springen wir mitsamt unserem Gepäck, sofern wir welches haben.
    Bis zum Boden sind es fast anderthalb Meter. Meine Knie, die so lange keine Bewegung hatten, brechen fast entzwei, als ich unten

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