RENAS VERSPRECHEN (German Edition)
dich nicht erschossen!“
Ich hebe meinen Kopf und schaue in das grinsende Gesicht der SS-Frau. „ Hau ab! “ Sie winkt mich weg.
Was für eine Idiotin bin ich doch! Ich springe schnell auf und fahre mir über die Kleider und hoffe dabei, da ss Hasse es sich nicht anders überlegt und mich doch noch erschie ss t.
„ Hau ab! “, schreit sie noch einmal.
Wir verbringen den ganzen Tag mit Steineschleppen und wissen dabei, da ss es sinnlose Arbeit ist, nur um uns zu be schäftigen. Dieser Tag wird un s in der Wochenmitte bitter feh len. Nächste Woche werden wir wieder rasiert, wieder ein Sonntag ohne Ruhepause. Wie sollen wir das je nachholen? ich wünschte, wir hätten den Tag für uns haben können.
Wir arbeiten im Frühjahrsschmutz, graben die Erde um wie im letzten Jahr. Die frischen jungen Sprö ss linge des neuen Grases strecken ihre wei ss en Spitzen aus der Erde, verleiten uns dazu, sie für einen Mittagsimbi ss zu sammeln. Der sü ss e Saft dieser fleischigen Gräser ist eine erfreuliche Abwechslung für unsere ermüdeten Geschmacksnerven und ausgetrockneten Kehlen. Wir verstecken sie in unseren Taschen, wenn Emma und die SS nicht hersehen.
Das Mädchen neben mir hält im Graben inne. Ich folge ihrem Blick. Eine Gruppe gebrochener Wesen geht langsam an unserem Kommando vorbei. Die Mädchen tragen blau-grau gestreifte Kleider mit sauberen, wei ss en, gebügelten Schürzen und bücken sich immer wieder, um Heilkräuter zu pflücken.
Der Anblick ihrer klapprigen Gestalten quält mich nicht so wie die tiefen Augen. Einen Augenblick lang halten wir entsetzt inne, ehe wir uns wieder an die Arbeit machen. Ihre Knie zittern vor Schwäche, als wäre jeder Schritt ihr letzter. Mir läuft es kalt den Rücken hinunter, obwohl es ein warmer Tag ist.
Ich habe zwischen Auschwitz und Birkenau viele Dinge ge sehen, aber nie etwas, was sich damit vergleichen lie ss e. Ich ha be Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit gesehen, ich habe Krankheit im ersten Ausbruch gesehen, aber ich habe nie solch leblose Gesichter gesehen. Selbst die Toten sehen lebendiger aus als diese wandelnden L eichen.
„ Das sind Versuchsopfer “ , flüstert das Mädchen neben mir. Dankas Gesicht wird bla ss . Me ine Hände zittern vor Schreck. „ Sie werden gequält, bis sie tot sind oder geistig-seelische Krüppel .“ Sie grä bt weiter um. „Nachdem sie ihre Experimen te an ihnen durchgefü hrt haben, kommen sie ins Gas.“ [16]
Verglichen mit all dem Horror , den wir täglich sehen, mit all den zerrütteten Wesen, denen wir alltäglich bege gnen, sind sie jenseits jeder Vo rstellungsmöglichkeit. Sie sehen aus, als wäre ihnen der Geist, den Gott ihren Seelen einatmete, völlig ausgesaugt worden. Sie sind keine menschlichen Wesen mehr, haben schon lange aufgehört, Mädchen oder Frauen zu sein. Sie sind der Alptraum eines Kindes.
„ Rena, ich habe die Krätze und schreckliche Wunden, weil ich geschlagen worden bin. “ Die Frau meines Cousins bettelt: „Bitte, hilf mir.“ Ich sehe sie an, ohne Mitleid, ohne etwas zu empfinden. Und doch mu ss ich ihr helfen. Es widerstrebt mir, Familienmitglieder zurückzu weisen, egal wie sie mich behan delt hat, als Danka und ich erstmals nach Bardejov kamen. Da hat sie mich zu sich nach Hause eingeladen und mir im Bade mantel und mit Lockenwickl ern auf dem Kopf Tee und Kekse angeboten. Sie war die ganze Zeit nervös und tat, als wäre ich ein Quälgeist, sagte dann ganz abrupt, sie hätte jetzt Einkäufe zu erledigen, und gab mir damit zu verstehen, da ss es Zeit zum Aufbruch war. Sie fragte nicht nach meinen Eltern, oder wie es Danka und mir in ihrer Stadt ging. Sie war so wohlerzogen, so reich, da ss ich mir wie die arme polnische Cousine vorkam, die man am besten unter den Teppich kehrt, um sich Peinlich kei ten zu ersparen.
Wegen dieses Vorfalls in der Slowakei mochte ich sie nicht. Dann hörte ich, da ss sie im Lager Ärger gemacht hatte. Man erwischte sie auf Händen und Knien im Suppenkessel, den sie ausleckte und dessen am Boden haften gebliebene Essenreste sie mit blo ss en Händen abkratz te und wie ein Tier in sich hin einstopfte. Eine SS-Frau hatte sie gefunden und ihr für ihr wi derwärtiges Betragen Prügel verpa ss t.
Ich schäme mich zu sagen, da ss ich ihr jetzt nicht traue und eigentlich überhaupt nichts mit ihr zu tun haben will. Sie hat sich nicht im Griff, und trotz al l ihres Getues und ihrer Überle genheit hat sie sich unter jedes menschliche Niveau begeben, und
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