RENAS VERSPRECHEN (German Edition)
zu dem Männerkommando und fangen an, die Last abzuladen. Prüfend suchen meine Augen das Gelände nach SS ab.
„Tylicz, in der Nähe von Krynica“ , antworte ich. Wir gra ben. Das Geräusch der Schaufeln, die auf Erde und Kiesel stei nen kratzen, scheint lauter als vorher zu sein. Sie gra ben. Un ser Schweigen verstärkt die Geräusche um uns.
Endlich hören wir „ Krakau. “ Wir graben. Ein SS-Mann taucht auf. Unser Gespräch verstummt bis morgen. Wir schie ben den Waggon zurück zu Emma und dem Rest unserer Gruppe.
Vier Uhr morgens.
„Raus! Raus!“
Weil ich mich an diesem Morgen aufs Arbeiten freue, war ich schon auf der Latrine, als die Raumältesten mit ihren Schlägen und Schreien anfangen. Im Morgenrot essen wir unser Stückchen Brot und trinken uns eren Tee. Die Tage werden länger ; was auch unsere Herzen spüren. Die Jahreszeiten gehen über uns hinweg, aber je länger die Sonne am Himmel steht, desto länger lassen sie uns arbei ten. Schlaf ist nur ein Ausrut scher zwischen Anwesenheitsappellen. Danka kreuzt die Arme über der Brust und hält ihre Ellbogen umfa ss t. „Mir ist kalt, Rena.“
„ D ie Sonne wird bald aufgehen.“
„ Nein , ich glaube, ich bin erkältet.“ Ihre geschwollenen Lippen sind dick verkrustet.
„Was hast du da auf der Lippe?“
„ Ich wei ss nicht. “ Sie fa ss t sich an den Mund. „Ich habe so Durst.“ Ich lege meine Hand auf ihre Stirn.
„ Du bi st hei ss “, sage ich un d versuche die Sorge und die Be unruhigung zu unterdrücken, die mich beschäftigt.
Sie nickt. „ Du hast auch eine Kruste auf der Lippe.“ Ich berühre meine Lippen, spüre, wie sich unter meinen Fin ger spitzen die Haut schuppt. Ich lege mir die Hand an die Stirn und rede mir ein, da ss es mir gutgeht.
„Ist dir hei ss ?“, fragt Danka.
„ Nein, Danka. Wir arbeiten so hart und essen so wenig, da ss der Körper sich doppelt anstrengen mu ss , um warm zu bleiben. “ Ich lüge meiner Schwester etwas vor wie ich mir selbst etwas vorlüge. Sie ist warm, zu warm für die mor gendli che Au ss entemperatur. Sie ist krank.
Ich lasse darüber nichts verlauten, ich mache mir nur im Geiste eine Notiz. Ich kann gegenüber der SS, grünen Drei ecken, Selektionen und Hunden wachsam sein, aber Krank heit, das ist etwas, was ich nicht vorhersehen kann. Sie kommt über uns trotz all unserer Anstrengungen zu überleben. Das ist unser zweites Frühjahr. Ich kann mich an fast nichts mehr aus dem letzten Jahr erinnern, will es auch gar nicht. Doch ich lasse das, was aus dem Gedäc htnis über das erste Lager auf taucht, Revue passieren, um z u erfahren, ob irgendeine Krank heit zu dieser Jahreszeit damals verbreitet war. Au ss er den bei ss enden Wanzen, stechenden Bissen und den Wolken von Moskitos, die im letzten Sommer über das Lager herfielen, fällt mir nichts ein. Es hat sich so viel ver ändert, da ss ich kei nen Wandel herauspicken kann, der sich abhebt, und ich fürchte, in der Vergangenheit keine Antworten zu finden.
Wir marschieren mit Emma hinaus in den Sand. Plötzlich befällt mich die Angst, da ss alles nur eine Täuschung war. Der freundliche Pole aus Krakau, der gestern mit mir sprach, wird heute nicht mehr da sein. Tausend Dinge konnten über Nacht passiert sein. Er konnte tot sein, sie konnten sein Kommando in ein anderes Gebiet verlegt haben. Mein Freund ist nicht mehr da. Meine Finger zuck en gegen mein Kleid aus Sacklei nen. In meiner Aufregung rasen diese Gedanken ohne Sinn und Verstand durch meinen Kopf. Wir werden sterben. Der Abgrund gähnt unter mit. Die Furcht jagt mich an seinen Schlund. Wir werden nicht bei einer Selektion oder im Gas, sondern im Krankenhaus sterben. Was ist schlimmer? Die Hoffnung, die mir Kraft und Energie gegeben hat, scheint mir aus meinen Fingern und Zehen und Ohren zu rinnen, wie alles Flüssige in meinem Körper dahinschwindet. Wir marschieren auf den Sand zu. Meine Augen werden glasig.
Dann sehe ich sie. Die Männer arbeiten im selben Areal wie gestern. Der Abgrund verschwindet. Wieder einmal sind wir gerettet - sind wir das? Danka ist hei ss . Das Fieber steigt.
Wir schieben einen Waggon hoch zum Gebäude. Als wir mit dem Abladen anfangen, sehe ich den gro ss en Dünnen und seinen kleineren Freund. Die Sonne brennt uns auf unsere kah len Köpfe, hält die Kälte in Schach, die in Schau ern über Dan kas Rücken zieht. Sie schwitzt zu heftig. Ein Stein fällt ein paar Schritte von uns entfernt zu Boden. Ich merke mir den Platz mit den
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