Renate Hoffmann
bestellt hatte, kam aber auf keine triftige Erklärung. Die Türen öffneten sich und Frau Hoffmann ging den dunklen Flur entlang. Die meisten Mitarbeiter der Personalabteilung hatten sich schon längst auf den Heimweg gemacht. Herr Hofer würde nach dieser Unterhaltung auch nach Hause fahren. Einen kurzen Moment fragte sich Frau Hoffmann, wie Herr Hofer wohl lebte. Sie fragte sich, ob er vielleicht ein Haustier hatte und welcher Stadtteil am besten zu ihm passen würde. In ihrer Vorstellung lebte Herr Hofer in einer gemütlichen drei Zimmer Wohnung in Gern. Wenn er ein Haustier haben sollte, war sich Frau Hoffmann sicher, dann eine Katze, weil Herr Hofer ihrer Meinung nach nicht der typische Hundeliebhaber war.
„Frau Hoffmann, kommen Sie doch bitte herein...“ Frau Hoffmann trat ein und setzte sich Herrn Hofer gegenüber auf denselben Stuhl auf dem sie vor Kurzem schon einmal gesessen hatte. Herr Hofer saß mit hochgekrempelten Hemdsärmeln an seinem Schreibtisch. An seinem linken Unterarm entdeckte Frau Hoffmann eine Tätowierung. Es überraschte sie, dass Herr Hofer tätowiert war. Eigentlich schockierte es sie fast ein wenig. Er schien bemerkt zu haben, dass sie seine Tätowierung gesehen hatte, denn er schaute auf seinen Unterarm und lächelte. „Ich war früher ein großer Rockfan...“, sagte er und zog den Ärmel noch ein Stückchen hoch. „Kennen Sie ZZ Top?“ Frau Hoffmann nickte. „Ehrlich?“, fragte er sichtlich begeistert. Sie nickte erneut, und dieses Mal musste auch sie lächeln. „Ich war früher Bassist in einer Band, aber wir sind wie man sieht nie groß raus gekommen...“, sagte er melancholisch. „Wir haben bei verschiedenen kleineren Veranstaltungen gespielt... Es war eine tolle Zeit...“
Frau Hoffmann warf noch einen flüchtigen Blick auf die Tätowierung, dann fragte sie schüchtern, „Weswegen wollten Sie mich denn sprechen, Herr Hofer?“ Er nahm Platz und kruschte in einem Haufen Papier herum. Dann räusperte er sich und zog eines hervor.
„Denken Sie einfach darüber nach...“, sagte Herr Hofer eine halbe Stunde später. Frau Hoffmann schaute ihn ungläubig an. Sie war sich sicher, dass Herr Hofer ihr jeden Augenblick eröffnen würde, dass er sich nur einen kleinen Spaß erlaubt hatte, und dann vor Lachen zusammenbrechen würde. Doch nichts dergleichen geschah. Er blickte ihr fest in die Augen. „Sie wären die richtige für den Posten...“
Frau Hoffmann ging in Richtung U-Bahn. Sie konnte noch immer nicht glauben, was Herr Hofer ihr soeben unterbreitet hatte. Sie hatte andere Mitarbeiter schon darüber munkeln hören, dass eine Umstrukturierung geplant sei, die mit der Schaffung neuer Stellen verbunden sei, doch sie hatte das als ein albernes Gerücht verbucht, dem keinerlei Glauben beizumessen wäre, und es daher nicht weiter Ernst genommen. Herr Hofer hatte sie gebeten ihm ihre Entscheidung in spätestens zwei Tagen mitzuteilen.
An diesem Abend setzte sich Frau Hoffmann auf ihren Balkon und beobachtete Herrn Peters, weil sie schon einige Tage nicht nach ihm gesehen hatte. Sie war jedoch weniger bei Herrn Peters, als bei Herrn Hofer. Sie dachte über seine Tätowierung nach und fragte sich, ob die an seinem Unterarm die einzige war, die er hatte. Sie fragte sich, wie Herr Hofer wohl ausgesehen hatte, als er noch nicht schwarze Anzüge trug. Frau Hoffmann zog an der Zigarette, die sie wenige Augenblicke zuvor angezündet hatte und schaute Herrn Peters nach, der in diesem Moment von seinem Trainingsgerät abstieg und ins Bad ging, um kühl zu duschen. Zumindest dachte Frau Hoffmann, dass er duschte. Wissen konnte sie es selbstverständlich nicht. Sie schaute hinüber zu Silvia. In ihrer Wohnung war es dunkel. Frau Hoffmann hoffte, dass sie schlafen konnte, und bei diesem Gedanken legte sie ihr Fernglas aufs Fenstersims und begab sich ins Bad und reinigte ihre Zähne.
Neben ihrer Wohnungstür im Flur häuften sich die Tageszeitungen. Seit einigen Tagen hatte sie nicht mehr in die Zeitung hinein gesehen. Sie nahm den Stapel und warf ihn in den Papiermüll. Auch, wenn ein Teil in ihr neugierig war, ein anderer hielt sie zurück. Sie strich mit der Zunge über ihre sauberen und glatten Zähne und legte sich ins Bett. Mit den Füßen rieb sie gegen den weichen Überzug. Und während sie langsam weg driftete, dachte sie an ZZ Top und an Herrn Hofers Unterarm, dann fiel sie in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Kapitel 40
Am kommenden Morgen saß Frau Hoffmann an
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