Renate Hoffmann
abgedeckt. Auf dem zweiten Foto war nichts. Zumindest nichts Erkennbares. Alles war gold, aber was genau es darstellen sollte, war Renate ein Rätsel. Das dritte Bild war ein Foto der Buslinie 53. Und auf dem vierten war ihr Gesicht abgebildet.
Politiker, gold, Buslinie 53 und Renate. Was um alles in der Welt hatte Henning ihr damit nur sagen wollen? Renate nahm einen Schluck Champagner. Ein Ort. Es ging um einen Ort. Das mit den Politikern verstand sie überhaupt nicht. Gold. Welchen Ort kannte Renate, der etwas mit der Farbe gold zu tun hatte? Buslinie 53. Während Renate nach dem MVV-Fahrplan suchte, fragte sie sich, was ihr Gesicht mit einem Ort zu tun haben könnte.
Renate kramte in ihrer Handtasche. Sie wusste, dass sie einen Fahrplan hatte, sie wusste nur nicht wo. Sie betrachtete die vier Bilder noch einmal. Erst jetzt fiel ihr auf, dass um die beiden Politiker eine Schar jubelnder Menschen versammelt stand. Freiheit. Vielleicht bedeutete es Freiheit. Gut, und warum dann gold? An der Münchner Freiheit war nichts Goldenes. Renate leerte den Inhalt ihrer Tasche auf den Boden. Und warum ihr Gesicht? Ihr Gesicht hatte doch mit der Münchner Freiheit überhaupt nichts zu tun.
Letzten Endes fand sie den Fahrplan und faltete ihn auf. Buslinie 53. Und in dem Moment, als sie nach der Linie suchte, dämmerte es ihr. Engel. Henning hatte sie schon öfter so genannt. Es ging nicht um Freiheit. Es ging um Frieden. Und das zweite Bild stand für den Engel, genauso wie ihr Gesicht. Euphorisch studierte Renate den Fahrplan. Und tatsächlich, die Buslinie 53 hielt am Friedensengel.
Mit wehenden Haaren verließ Renate die Wohnung. Sie rannte die Stufen hinunter und sperrte ihr Fahrrad auf. Sie radelte so schnell wie sie konnte. Die Ismaningerstarße schien kein Ende nehmen zu wollen. Renate japste nach Luft, als sie links in die Prinzregentenstraße abbog. Ihr Herz schien zu platzen, ihre Beine zitterten.
Renate stellte das Fahrrad ab. Ihre Oberschenkel brannten. Und dann sah sie ihn. Henning saß am Fuße des Engels zwischen schätzungsweise vierzig Teelichtern. Renate ging auf ihn zu, sie wäre gerne gerannt, doch ihre Beine schienen das mit aller Gewalt zu verhindern.
Henning schloss sie in die Arme. Sie inhalierte seinen Duft. Es fühlte sich an, als wäre sie in diesem Moment zu Hause angekommen. Und plötzlich wurde ihr klar, dass es vollkommen egal war, wo sie waren, solange sie nur zusammen waren.
Henning schaute sie an. Seine dunklen Augen reflektierten die flackernden Flammen der Kerzen. „Ich liebe dich auf so unendlich viele Arten... du bist der Mensch, der mir das Gefühl gibt, bedeutsam zu sein... ich fühle mich bei dir Zuhause... du bist der Mensch, der mich am besten versteht... ich weiß, was ich über die Ehe gesagt habe, doch so muss es nicht sein...“ Henning zog ein winziges Samtschächtelchen aus seiner Hosentasche. „Nati, ich kann dir nicht versprechen, dass es immer gut sein wird, und ich kann dir auch nicht versprechen, dass ich nicht manchmal ein sturer Arsch sein werde...“ Renate lächelte. Dicke Tränen glänzten im Kerzenlicht. „Doch ich kann dir versprechen, dass ich diese Geste nie für einen Fehler halten werde...“ Henning öffnete die kleine Schachtel. Und in dem Augenblick, als Renate den Ring sah, brach sie in eine fast schon erschreckende Mischung aus Gelächter und hysterischem Schluchzen aus. „Nati, willst du mich heiraten?“
Dieses Mal fiel es ihr nicht schwer ja zu sagen. Sie sagte es nicht nur ein Mal, sie sagte es immer und immer wieder. Henning hielt den Ring ins Licht. In der Innenseite schimmerte eine Gravur. Renate und Henning pro aeternitas. Unter den gigantischen goldenen Schwingen des Friedenengels lagen sie sich in den Armen. Er war der einzige Zeuge dieses unbeschreiblichen Augenblicks gewesen.
Kapitel 90
Frau Hoffmann schaute Herrn Hofer entgeistert an. Es schien so, als würde sie erst in diesem Augenblick begreifen, was eben geschehen war. Herr Hofer wich einen Schritt zurück. In seinem Gesicht erkannte sie eine Mischung aus Angst und Freude. Seine Hände hielten sie noch immer fest. Sie spürte seine Wärme und roch seinen Duft. Ihre Lippen schienen noch immer betäubt von dem Kuss, den er ihr gegeben hatte.
„Ich...“, stammelte Frau Hoffmann und ließ seine Hände los. Ihre Zunge schien gelähmt, und sie konnte nicht sagen, ob sie es war, weil sie das Gefühl vergessen hatte, wie wunderbar es sich anfühlte die Leidenschaft eines
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