Rendezvous mit Biss: Roman (German Edition)
vorgedrungen. Sehr gut.
Eine Regenbogenkoalition aus spanischen, afroamerikanischen und weißen ortsansässigen Politikern trat aus dem Nebenraum und besetzte die Stühle auf der Bühne. Ich spürte die Vorfreude des Publikums, das einen extrem jungen Eindruck machte. Viele der Jugendlichen hatten Piercings und lange Haare und passten eher auf ein Rockkonzert als auf eine politische Veranstaltung. Die wenigen älteren Teilnehmer gehörten dem Gewerkschaftsverband AFL-CIO an, einer der größten Gewerkschaftsvereinigungen der USA – das verrieten mir ihre Buttons mit der Aufschrift AFL-CIO FÜR DANIEL.
Als ein Afroamerikaner mittleren Alters mit krausen Haaren und dickumrandeter Plastikbrille das Podium betrat, schwoll das Stimmengewirr an und hallte von den Steinwänden wider. Er sah aus wie Cornel West, ein Professor aus Princeton. Joe Daniel schlüpfte aus einem Nebeneingang auf die Bühne. Ein Aufschrei ging durch die Menge.
»Dan-yell! Dan-yell!« , skandierten einige aus der Menge wie Cheerleader. Wie aufs Stichwort rief eine andere Gruppe: »Was wollen wir?«
»Frieden!« , kam als Antwort.
»Wann wollen wir ihn?«
»Sofort!«
Der Schwarze am Mikrofon hob die Hände und bat um Ruhe. Ein Störgeräusch aus den Lautsprechern verhinderte, dass ich seinen Namen verstand, aber die Menge schien ihn zu kennen und beobachtete ihn mit gespannter Aufmerksamkeit. Ein Techniker rannte auf die Bühne und stellte einige Regler an der Tonanlage neu ein. »Willkommen zu einem historischen Abend!«, rief der Sprecher ins Mikrofon. Die Menge jubelte.
»Heute Abend geben wir der Welt bekannt, dass wir den amerikanischen Traum wiederbeleben!«, sagte er. »Gleichheit! Demokratie! Integrität! Großzügigkeit! Wir holen uns dieses Land von den Ölmagnaten wieder. Von den Holzfällern. Von den Unmenschen in den Großunternehmen, die mit aller Gier nach Macht streben und junge Menschen als Kanonenfutter verwenden. Denselben Unmenschen, die unser Wasser verschmutzen und unsere Luft verpesten.« Wieder jubelte die Menge.
»Heute Abend ist der Mann bei uns, der uns auf diesen Weg führen wird. Er sagt nicht das, was andere hören wollen. Er sagt, was er denkt. Er wird es heute Abend sagen. Und er wird es auch noch nächste Woche sagen – unabhängig davon, was die Umfrageergebnisse gebracht haben. Er rappelt sich immer wieder auf. Er bleibt nicht am Boden. Er ist ein Soldat, der dem Krieg den Rücken gekehrt hat. Er ist ein Mann, der nicht mit Bomben kämpft, sondern mit dem Schwert der Gerechtigkeit. Er ist ein Patriot, der sich unerschrocken den Geschützen in den Weg stellt. Er hat vieles geopfert und wird noch mehr Opfer bringen – um dieses Land von seinem katastrophalen Kurs fortzusteuern! Um diese Welt zu verändern! Um diesen Planeten zu retten! Um unschuldige Leben zu retten! Meine Damen und Herren, bitte begrüßen Sie MrJoe A. Daniel, den zukünftigen Präsidenten der Vereinigten Staaten!«
Das Publikum rastete aus, klatschte und schrie: »Dan-yell! Dan-yell! Dan-yell!«
In einem einfachen weißen Sweatshirt, Jeans und ohne die White-Sox-Baseballmütze betrat Daniel mit hocherhobenem Kinn das Podium und stellte sich vor die jubelnde Menge. Ich spürte große Aufregung in ihm und etwas, das ich nur als Liebe zu bezeichnen vermochte.
Er legte die Hände seitlich aufs Rednerpult und begann mit ruhiger Stimme zu sprechen. »Brüder und Schwestern.« Die Menge wurde schlagartig still. »Ich bin nicht hier, um jemandem die Schuld zuzuschieben. Ich bin hier, um Hoffnung zu verbreiten. Ich bin nicht hier, um zu hassen. Ich bin hier, um zu lieben. Einst war ich Soldat und habe den Krieg miterlebt. Ich versichere euch, Krieg ist nichts weiter als fehlgeschlagene Diplomatie. Krieg ist eine Farce. Krieg ist ein Greuel. Krieg ist überflüssig. Wir müssen die Kriege dieser Welt beenden.«
Die Menge unterbrach ihn mit lautem Jubel. Benny flüsterte mir zu: »Dieser Typ legt es ja geradezu darauf an, ausgeschaltet zu werden. Ihm kaufen viel zu viele Leute die Sache ab.« Ich nickte zustimmend, während Daniel in seiner Rede fortfuhr.
»Es dürfen keine kostbaren Leben mehr vergeudet, keine kostbaren Kinder getötet, keine kostbaren Töchter und Söhne abgeschlachtet werden. Für was sind sie gestorben? Für die Freiheit? Nein. Für die Demokratie? Nein. Dieser Krieg verfolgt keine solch ehrenvollen Ziele. Unsere Söhne, unsere Töchter, unsere Ehemänner, unsere Ehefrauen, sie alle werden abgeschlachtet – für Öl.
Weitere Kostenlose Bücher