Rendezvous mit Biss: Roman (German Edition)
dem hinteren Teil des Raumes: »Sie unterstützen die Terroristen! Sie lassen zu, dass sie uns alle umbringen!« Eine Phalanx aus blauen Uniformen setzte sich in Richtung des Störenfrieds in Bewegung.
»Wartet! Lasst den Mann in Ruhe!«, rief Daniel. »Er hat Angst. Ich verstehe seine Angst. Der Terrorismus muss aufgehalten werden. Jene, die unschuldige Amerikaner töten, müssen aufgehalten werden. Aber dieser Krieg hält sie nicht auf. Ich war dort. Ich habe es gesehen. Ich habe es begriffen. Wir haben die Möglichkeit, El Kaida zu zerschlagen. Warum haben wir es dann noch nicht getan? Ich werde die Terroristen aufhalten, Sir. Aber ich werde dafür nicht in den Iran einmarschieren. Oder in Korea. Oder in Syrien.«
Trotz Daniels Aufforderung, den Zwischenrufer in Ruhe zu lassen, wurde der Mann von den Uniformierten hinausgebracht. Während dieser Vorfall die Aufmerksamkeit aller auf sich zog, erklang das Geräusch von zerbrechendem Glas, und der Geruch nach verfaulten Eiern breitete sich in der Halle aus. »Stinkbomben!«, rief jemand. Die Polizisten eilten herbei und warfen eine Plane über die Quelle des Übels. Der Gestank war zwar unangenehm, aber nicht unerträglich. Trotzdem hatte es gerade zwei Vorfälle gegeben, die die Sicherheitsleute nicht verhindert hatten. Ich befürchtete, dass ein dritter vielleicht schlimmere Folgen haben könnte.
»Leute!«, rief Daniel breit grinsend und heiterte mit seinen folgenden Worten die Stimmung wieder etwas auf. »Wir wissen alle, dass in der jetzigen Regierung etwas ganz gewaltig stinkt! Sie muss es uns nicht extra beweisen!« Die Zuschauer lachten erleichtert. »Ich möchte euch allen danken, dass ihr heute Abend hierhergekommen seid. Wir brauchen eure Unterstützung. Wir brauchen euren Aktivismus. Bitte macht bei uns mit! Schaut auf unsere Internetseite, dort findet ihr neue Informationen! Wir sind uns einig darüber, dass es Zeit für frische Luft ist, oder?«
»Ja!«, antwortete die Menge und klatschte.
»Nun, dann danke ich euch – und wünsche euch noch einen schönen Abend.« Daniel grinste und reckte eine Faust in die Luft. Aus den Lautsprechern drang der Beatles-Song Revolution. Die Zuschauer drängten zu den Ausgängen, und der Geruch nach Schwefel verflüchtigte sich ebenfalls langsam. Ich warf Benny einen Blick zu, dann sahen wir beide zu Daniel hinüber, der gerade die Bühne verließ. Er lächelte nicht mehr, sondern hielt den Kopf gesenkt und schien große Schmerzen zu haben.
Ich wandte mich um und ließ meinen Blick noch einmal durch den beinahe leeren Raum schweifen. Eine kleine, hübsche Frau trat auf die Bühne zu. Als sie bemerkte, dass ich sie gesehen hatte, winkte sie mir zu.
»Ach du Scheiße«, sagte ich.
»Was ist denn?«, fragte Benny.
»Meine Mutter ist hier.«
Kapitel 6
Der Trick zum Glücklichsein ist nicht etwa,
zu bekommen, was man will,
sondern zu wollen, was man bekommt.
Anonym
O h, wie schön, Marozia ist hier!« Ginny trat aus den Schatten seitlich der Bühne auf Benny und mich zu. Einige Haarsträhnen hatten sich aus dem Haargummi gelöst und klebten an ihrer verschwitzten Stirn. Sie wirkte erschöpft. Ich hatte unsere Verabredung nach der Kundgebung nicht vergessen, ich wusste jedoch nicht, dass meine Mutter mit von der Partie sein würde.
Mar-Mar sprang auf die Bühne. Mit ihren zart rosafarbenen, leuchtenden Wangen sah sie frisch aus wie der junge Morgen und nicht wie eine tausend Jahre alte Frau. Ihr üblicher Aufzug verstärkte diesen Eindruck noch: Schlaghose, Batik-T-Shirt, eine mit Fransen besetzte Westernjacke und knöchelhohe Segeltuchschuhe.
Mar-Mar identifiziert sich bis heute mit den 1960er-Jahren. Während des rebellischen Jahrzehnts des »Make love not war« war sie zum ersten Mal in ihrem langen Leben vollkommen akzeptiert worden. Ihr nachtaktiver Lebensrhythmus, ihre Abneigung gegen Knoblauch, sogar der Sarg als Bettersatz wurden als »total spitze, Mann, echt klasse« angesehen. Sie liebte die Protestbewegungen und die Politik, aber vor allem liebte sie das Mary Jane. Das Ganja. Besser bekannt als Marihuana.
Ihre Retro-Klamotten und ihr Hippie-Gebaren hatten mich jahrzehntelang in Verlegenheit gebracht, aber inzwischen war das alles wieder in Mode. Außerdem war Mutter tief in das Netzwerk der amerikanischen Geheimdienste verstrickt, was ich erst herausgefunden hatte, als ich einige Monate zuvor für die Dark Wings rekrutiert worden war. Wahrscheinlich hielt sie sich bereits seit dem mysteriösen
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