Rendezvous mit einem Mörder
Er kennt einzig persönlichen Ehrgeiz. Mit seinen Taten will er weder ein religiöses noch ein moralisches noch ein gesellschaftliches Zeichen setzen.«
»Dann will er also anscheinend tatsächlich nur persönliche Machtgelüste befriedigen.«
»Da würde ich Ihnen zustimmen«, erklärte Mira, zufrieden mit Eves klarer Denkweise. »Für ihn ist es wie ein neues und irgendwie faszinierendes Hobby, ein Gebiet, auf dem er, wie er entdeckt hat, einige Fähigkeiten hat. Er ist gefährlich, Lieutenant, nicht nur, weil er kein Gewissen hat, sondern weil er seine Sache gut macht. Und sein Erfolg ruft das Verlangen nach weiteren Erfolgen in ihm wach.«
»Nach dem sechsten Opfer will er aufhören«, murmelte Eve. »Mit dieser Methode. Aber er wird einen anderen ausgefallenen Weg finden, um zu morden. Er ist zu eitel, um sein einmal gegebenes Versprechen nicht zu halten, aber sein neues Hobby macht ihm zu viel Spaß, als dass er es ganz aufgeben würde.«
Mira legte den Kopf auf die Seite. »Man könnte meinen, Lieutenant, Sie hätten meinen Bericht bereits gelesen. Ich habe den Eindruck, als könnten Sie sich inzwischen sehr gut in den Täter hineinversetzen.«
Eve nickte mit dem Kopf. »Ja, allmählich ergeben die einzelnen Puzzle einen gewissen Sinn.« Allerdings gab es noch eine Frage, die sie stellen musste, eine Frage, die ihr während der endlos langen letzten Nacht den Schlaf geraubt hatte. »Würde er, um sich zu schützen, um das Spiel zu verkomplizieren, jemand anderen anheuern, jemand anderen dafür bezahlen, eins der von ihm ausgewählten Opfer in einem Moment zu ermorden, für den er selbst ein Alibi hat?«
»Nein.« Mira bedachte Eve, die vor Erleichterung die Augen schloss, mit einem mitfühlenden Blick. »Meiner Meinung nach muss er die Morde selbst verüben. Muss alles selbst mit ansehen, alles selbst aufnehmen, alles selbst durchleben. Er begnügt sich ganz sicher nicht mit einer derart billigen Ersatzbefriedigung. Außerdem glaubt er sowieso nicht, dass Sie ihm auf die Schliche kommen werden. Er genießt es, Sie schwitzen zu sehen, Lieutenant. Er ist ein guter Beobachter, und ich glaube, seit er weiß, dass Sie die Ermittlungen gegen ihn leiten, hat er seine Beobachtungen ganz auf Sie konzentriert. Er hat sich eingehend mit Ihnen beschäftigt und weiß, dass Ihnen diese Morde unter die Haut gehen. Er betrachtet Ihr Mitgefühl als eine Schwäche, die er ausnutzen kann, was er tut, indem er Ihnen die Disketten mit den Mordaufnahmen zukommen lässt – und zwar nicht hier an Ihrem Arbeitsplatz, sondern direkt dort, wo Sie leben.«
»Inzwischen hat er auch die letzte Diskette geschickt. Sie kam mit der Morgenpost, wurde ungefähr eine Stunde nach der Tat mitten in der City in einen Briefkasten geworfen. Meine Wohnung stand unter Beobachtung. Offensichtlich hat er das bemerkt und einen Weg gefunden, das Risiko der persönlichen Überbringung der Diskette zu umgehen.«
»Er ist der geborene Strippenzieher.« Mira reichte Eve eine Diskette und einen Ausdruck des von ihr erstellten ersten Täterprofils. »Er ist ein intelligenter, reifer Mann. Reif genug, um seine Impulse zu beherrschen, ein gewitzter, fantasiebegabter Mann. Sicher zeigt er nur selten seine Gefühle. Er ist eher der Typ des Intellektuellen, auch wenn er, wie Sie selbst schon sagten, ein großes Maß an Eitelkeit besitzt.«
»Ich weiß es zu schätzen, dass Sie dieses Profil so schnell zusammengestellt haben.«
»Eve«, sagte Mira, ehe sich Eve erheben konnte. »Eine Sache noch. Es geht um die Waffe, die am letzten Tatort zurückgelassen wurde. Der Mann, der diese Verbrechen begangen hat, würde bestimmt keinen derart idiotischen Fehler begehen, eine Waffe liegen zu lassen, deren Spur man bis zu ihm zurückverfolgen kann. Das Diagnoseprogramm hält eine solche Vorgehensweise seitens des Killers zu dreiundneunzig Komma vier Prozent für unwahrscheinlich.«
»Sie war dort«, kam Eves tonlose Antwort. »Ich habe sie persönlich eingesammelt.«
»Was ganz sicher der Wunsch des Täters war. Wahrscheinlich hat er es genossen, jemand anderen in die Sache hineinzuziehen, um alles zu verkomplizieren, um die Ermittlungsarbeit zu behindern. Und wahrscheinlich hat er absichtlich einen ganz bestimmten Menschen in die Sache mit hineingezogen, um Sie aufzuregen, abzulenken und Ihnen sogar wehzutun. Diese Möglichkeit habe ich auch in meinem Bericht erwähnt. Was ich nicht erwähnt habe, Ihnen jedoch sagen möchte, ist, dass ich mir ernste Sorgen mache
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