Rendezvous mit einem Mörder
kann sich noch nicht mal an irgendein Strafgesetz erinnern, ohne dass ihm einer seiner Helfer vorher souffliert. Bestechung ist nicht weiter schwierig, sie ist nichts weiter als ein nicht ganz sauberes Geschäft. Jemanden aus Panik, Leidenschaft oder Zorn zu töten, würde ich ihm ebenfalls noch zutrauen. Aber so etwas zu planen und diesen Plan dann Schritt für Schritt ordentlich ausführen? Nein. Er ist ja noch nicht mal clever genug, um seine Steuererklärung unauffällig zu manipulieren.«
»Dann hatte er also Hilfe.«
»Möglich. Vielleicht würde ich es, wenn ich ein bisschen Druck auf ihn ausüben könnte, herausfinden.«
»Dabei kann ich dir helfen.« Roarke nahm einen letzten nachdenklichen Zug von seiner Zigarette und drückte sie dann aus. »Was meinst du, würden die Medien machen, wenn ihnen jemand anonym eine Kopie der Auszüge von Simpsons schwarzen Konten zuschicken würde?«
Sie ließ die Hand, mit der sie sich durch die Haare hatte fahren wollen, entgeistert wieder sinken. »Sie würden ihn aufhängen. Aber falls er etwas wüsste, bekämen wir auf diese Weise, selbst wenn er eine ganze Flotte von Anwälten um sich versammeln würde, bestimmt etwas aus ihm heraus.«
»Das denke ich auch. Aber die Entscheidung liegt natürlich ganz allein bei dir, Lieutenant.«
Sie dachte an die Vorschriften, an die üblichen Verfahrensweisen, an das System, dessen Bestandteil sie selbst war. Dann jedoch dachte sie an drei tote Frauen – und an drei weitere Frauen, die zu schützen ihr auf diesem Weg vielleicht gelänge.
»Es gibt da eine Journalistin. Nadine Fürst. Am besten schickst du die Kopien ihr.«
Sie war nicht bei ihm geblieben. Eve wusste, sie bekäme einen Anruf, und am besten wäre sie dann allein in ihrer Wohnung. Sie dachte, sie würde sicherlich nicht schlafen, aber dann versank sie in einer Reihe aufwühlender Träume.
Erst träumte sie von Mord. Von Sharon, Lola, Georgie, die alle in die Kamera lächelten. Von dem Moment, in dem die Panik in ihren Augen blitzte, bevor sie rücklings auf die vom Sex noch warmen Laken flogen.
Daddy. Lola hatte ihn Daddy genannt. Dieses Wort stürzte Eve in einen älteren, noch erschreckenderen Traum.
Sie war ein braves Mädchen. Sie versuchte, ein braves Mädchen und nicht aufsässig zu sein. Wenn man aufsässig war, kamen die Cops, holten einen ab und steckten einen in ein tiefes, dunkles Loch, in dem Käfer herumkrabbelten und Spinnen lautlos auf ihren dürren, langen Beinen herangekrochen kamen.
Sie hatte keine Freunde. Wenn man Freunde hatte, musste man sich immer etwas ausdenken, weshalb man schon wieder so viele Schrammen und blaue Flecken hatte. Musste man sagen, man wäre ein Tölpel, obwohl man gar kein Tölpel war. Man wäre gefallen, obwohl man gar nicht gefallen war. Außerdem lebten sie nie lange genug an einem Ort. Wenn man es tat, kamen früher oder später die verdammten Sozialarbeiter, schnüffelten hinter einem her und stellten allzu viele Fragen. Es waren die verdammten Sozialarbeiter, die die Cops riefen, damit diese einen in das dunkle, mit Käfern bevölkerte Loch warfen.
Ihr Daddy hatte sie gewarnt.
Also war sie ein braves Mädchen, ohne Freunde, das von einem Ort zum nächsten zog, wenn man sie mitnahm.
Aber es war vollkommen egal - sie konnte hören, dass er kam. Sie hörte ihn immer. Das leise, schleichende Klatschen seiner nackten Füße riss sie wie lautes Donnergrollen selbst aus dem tiefsten Schlaf.
Oh, bitte, oh, bitte, oh, bitte. Sie betete, aber sie weinte nicht. Wenn sie weinte, wurde sie geschlagen, und trotzdem hat er die heimlichen Dinge mit ihr getan. Die schmerzlichen und heimlichen Dinge, von denen sie bereits im Alter von fünf Jahren wusste, dass sie schlimm waren.
Er sagte ihr, sie wäre brav. Die ganze Zeit, während er die heimlichen Dinge mit ihr machte, sagte er, sie wäre brav. Aber sie wusste, sie war böse, und dafür würde sie bestraft.
Manchmal band er sie ans Bett. Wenn sie hörte, dass sich die Tür öffnete, wimmerte sie leise und betete, dass er sie nicht anbinden würde. Sie würde sich nicht wehren, sie würde sich nicht wehren, wenn er sie nur nicht anbände. Wenn er ihr nur nicht die Hand auf den Mund legte, würde sie nicht weinen und nicht schreien.
»Wo ist mein kleines Mädchen? Wo ist mein kleines braves Mädchen?«
Tränen sammelten sich in ihren Augenwinkeln, als seine Hände unter die Decke glitten, tastend, suchend, zwickend. Sie konnte seinen Atem riechen, süß wie
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