Rendezvous mit einem Mörder
geschossen habe. Und zwar nicht, um sich zu verteidigen, sondern aus reinem Vergnügen.« Sie sah ihm in die Augen. »Sie sind nicht dieser Mann.«
»Nein, ich bin nicht dieser Mann.«
»Aber Sie wissen etwas.«
Er strich mit dem Daumen über das Grübchen in ihrem Kinn und ließ dann die Hand sinken. »Ich bin nicht sicher, ob ich wirklich etwas weiß.« Er trat an den Tisch und schenkte ihnen beiden eine Tasse Kaffee ein. »Waffen aus dem zwanzigsten Jahrhundert, Verbrechen ähnlich denen aus dem zwanzigsten Jahrhundert, Motive wie aus dem zwanzigsten Jahrhundert.« Er blickte sie an. »So würde ich es einschätzen.«
»Das ist keine allzu schwierige Schlussfolgerung.«
»Aber sagen Sie mir, Lieutenant, können Sie mit historischen Verbrechen umgehen, oder sind Sie allzu sehr der Gegenwart verhaftet?«
Diese Frage hatte sie sich selbst bereits gestellt. »Ich bin durchaus flexibel.«
»Nein, aber Sie sind clever. Wer auch immer Sharon getötet hat, kennt sich mit der Geschichte aus, ist an ihr interessiert, vielleicht sogar davon besessen.« Er zog spöttisch eine Braue in die Höhe. »Ich kenne mich mit der Geschichte recht gut aus. Bestimmt habe ich ein gewisses Interesse daran, aber bin ich davon auch besessen?« Er zuckte mit den Schultern. »Das müssen Sie schon selbst beurteilen.«
»Ich arbeite daran.«
»Das ist mir überaus klar. Lassen Sie uns die Sache mal auf altmodische Weise angehen, ohne Computer, ohne technische Analysen. Als Erstes sollten wir uns mit dem Opfer beschäftigen. Sie glauben, Sharon war eine Erpresserin. Was durchaus zu ihr gepasst hätte. Sie war eine zornige, trotzige, machtbesessene Frau. Und zugleich wollte sie geliebt werden.«
»Das alles haben Sie im Verlauf von nur zwei Treffen feststellen können?«
»Im Verlauf von zwei Treffen.« Er reichte ihr ihre Tasse Kaffee. »Und durch Gespräche mit Menschen, die sie kannten. Sowohl Freundinnen und Freunde als auch Kolleginnen und Kollegen empfanden sie als tolle, energische, wenn auch ziemlich verschwiegene Person. Eine Frau, die sich einerseits von ihrer Familie losgesagt hatte, aber andererseits sehr häufig an sie dachte. Eine Frau, die das Leben liebte, aber die trotzdem oft gegrübelt hat. Ich nehme an, bisher sind wir bei unseren Nachforschungen zu ungefähr denselben Ergebnissen gekommen.«
Plötzlich wurde sie wütend. »Mir war nicht bewusst, dass Sie überhaupt irgendwelche Nachforschungen in einem polizeilich zu untersuchenden Mordfall anstellen, Roarke.«
»Beth und Richard sind meine Freunde. Ich nehme meine Freundschaften sehr ernst. Die beiden trauern um ihre tote Tochter, Eve. Es gefällt mir nicht zu wissen, dass Beth sich die Schuld an dem gibt, was passiert ist.«
Eve erinnerte sich an die unglücklichen Augen und die nervösen Gesten und seufzte leise. »Also gut, das kann ich akzeptieren. Mit wem haben Sie gesprochen?«
»Wie gesagt, mit Freunden, Bekannten, Geschäftspartnern.« Er stellte seinen Kaffee auf die Seite, während Eve an ihrem nippte und gleichzeitig wie eine gefangene Tigerin durch den Raum stapfte. »Seltsam, nicht wahr, wie viele verschiedene Meinungen und Beschreibungen man bezüglich ein und derselben Frau bekommen kann. Frag einen Menschen, und er sagt, Sharon wäre loyal und großzügig gewesen. Frag den Zweiten, und er sagt dir, sie wäre rachsüchtig und berechnend gewesen. Frag den Dritten, und du bekommst zu hören, sie wäre vergnügungssüchtig gewesen und hätte nie genug Aufregung haben können, während dir der Vierte erklärt, sie hätte eine Vorliebe für ruhige Abende allein zu Hause gehabt. Unsere gute Sharon hat anscheinend recht viele Rollen zu spielen vermocht.«
»Sie hat ganz einfach gegenüber verschiedenen Menschen verschiedene Masken aufgesetzt. So etwas gibt es ziemlich häufig.«
»Aber welche Maske oder welche Rolle hat sie umgebracht?« Roarke zog eine Zigarette aus seinem Silberetui und zündete sie an. »Erpressung.« Nachdenklich blies er eine duftende Rauchwolke in Richtung Decke. »Sicher hätte sie ein gewisses Talent dazu gehabt. Sie hatte eine Vorliebe dafür, die Menschen auszuhorchen, und hat gleichzeitig eine solche Menge Charme zu versprühen vermocht, dass man kaum merkte, was sie tat.«
»Ihnen gegenüber war sie sicher ganz besonders großzügig mit ihrem Charme.«
»Sie hat wahrlich nicht damit gegeizt.« Wieder bedachte er sie mit seinem jungenhaften Grinsen. »Allerdings war ich nicht bereit, ihr im Austausch für Sex auch nur
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