Rendezvous mit Mr Darcy
faltete Chloe feierlich das Blatt Papier auseinander, das er ihr gegeben hatte. Die Schrift war altmodisch und verschnörkelt, und die Zeilen strophenartig aufgebaut. Er hatte ihr ein Gedicht geschrieben! Mit neununddreißig Jahren las Chloe das erste Liebesgedicht, das ihr jemals geschrieben worden war:
Während hoch am Himmel scheint die Sonne,
Erblüht mein Herz voll Liebe und Wonne.
Kann mich des Gefühls nicht erwehren,
so wünsch ich mir, es sollt sich mehren.
Dennoch nagen Zweifel an mir,
weshalb ich Beweise brauche von dir.
Dass es dir ernst ist, erkenne ich
Wenn du Folgendes tust für mich:
Um Schlag zwei musst du etwas finden,
im Garten, wo Licht und Schatten sich verbinden.
Betrachte das Gesicht dort im hellen Schein,
dann folge dem leuchtenden Pfad allein,
bis du schon bald ein Haus ohne Mauern betrittst,
und dort, wo das Wasser rauscht, dein Ziel erblickst.
Des Rätsels Lösung verbirgt sich in diesem Gedicht,
den Schlüssel findest du im Licht.
Schicke die Antwort durch die geheime Tür,
und deine Fragen werden sich klären dafür.
Sie las es noch einmal. Es war kein Liebesgedicht, sondern eine Art Brautwerbungsrätsel aus der Zeit des Regency, verpackt als Reality-Show-Aufgabe. Sie seufzte. Trotzdem war sie bereit, das Rätsel zu lösen. Es gab ihr einen Einblick in Sebastians verspieltes, romantisches Wesen, und nichts anderes hätte sie zu diesem Zeitpunkt mehr aufmuntern können als dieses kleine Spiel.
Hatten die anderen Kandidatinnen auch so ein Rätsel bekommen? Sie konnte sie ja leider nicht fragen. Sebastian hatte ausdrücklich geschrieben, dass sie diese Aufgabe alleine lösen müsste, noch nicht einmal ihre Anstandsdame durfte etwas davon wissen.
Was könnte es in einem Garten geben, das Licht und Schatten miteinander verband? Das Anwesen beherbergte riesige Gärten. Könnte sich dieser Garten auf einem Gemälde befinden? Und was hatte es mit der Uhrzeit auf sich? Hielt eines der gemalten Zifferblätter der Standuhren von Bridesbridge vielleicht die Antwort dafür bereit?
Sie hatte sich wohl zu früh gefreut. Das Rätsel blieb ihr ein Rätsel. Ein völliges. Und sie konnte noch nicht einmal Mrs Crescent um Rat fragen.
Mrs Crescent hatte Chloe eine Rezeptur für die Tinte gegeben, die von Martha Lloyd stammte, der Schwägerin von Jane Austen:
Man nehme 4 Unzen Galläpfel, 2 Unzen Melanterit, 1½ Unzen Gummiarabikum und breche die Galläpfel auf. Das Gummi und das Melanterit müssen in einem Mörser zerstoßen und ein Pint abgestandenes Starkbier zugegeben werden, zusammen mit einem Pint Dünnbier. Danach etwas Raffinadezucker hinzufügen. Die Mischung muss vierzehn Tage in der Ecke des Kamins stehen und zwei oder drei Mal am Tag geschüttelt werden.
Die Galläpfel hatte Chloe schon eingesammelt, und der Rest des Rezepts, ein Pint Bier, selbst abgestandenes Starkbier, hörte sich gut an.
Sie schaffte es mithilfe von Mrs Crescent, die Rezeptur zu verarbeiten, und verkniff es sich auch, von dem Bier zu trinken. Allerdings musste sie ab jetzt daran denken, zwei oder drei Mal am Tag in den Salon zu gehen, um das im Kamin stehende Gefäß mit der Tinte zu schütteln.
»Keine Sorge«, hatte Mrs Crescent ihr versichert. »Ich werde Sie daran erinnern.«
Mit einer Gesamtzahl von inzwischen zehn Vielseitigkeitspunkten stellte sich Chloe an den beiden darauffolgenden Tagen der Herausforderung, in einem Damensattel auf Chestnut zu reiten, dem nettesten Pferd, das im Stall stand. In ihrer freien Zeit übernahm sie, solange keine Kameras zugegen waren, so viele häusliche Pflichten wie möglich von Fiona, und ihr fiel auf, dass ihr Dienstmädchen trauriger denn je wirkte. Sie fing auch an, das Anwesen zu durchkämmen, und durchstreifte auf der Suche nach Sonnenlicht und Schatten die Gärten, um das Rätsel von Sebastian zu entschlüsseln. Dabei musste sie sich eingestehen, dass aus ihrem Schwärmen für ihn mehr geworden war. Keines der Gemälde und auch keine der Uhren in Bridesbridge passten jedoch auf die Beschreibung in dem Rätsel, noch nicht einmal die Taschenuhr an der Chatelaine von Grace.
Ihre Ölfarben und das Malpapier blieben unangetastet, da ihr Mrs Crescent eine weitere Aufgabe aufgetragen hatte, die mehr als eine Woche in Anspruch nehmen würde: Handarbeiten. Sie musste für fünfzehn Punkte einen Kaminschirm sticken, wenngleich sich ihre Fähigkeiten auf diesem Gebiet auf das Annähen abgegangener Knöpfe beschränkten. So viel zu den Tagen angeblicher
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