Rendezvous mit Rama
Vorjahren eine allem Anschein nach dauerhafte Freundschaftsbindung aufgebaut. Dies war keineswegs außergewöhnlich; bei weitem ungewöhnlicher war jedoch, dass beide auch zu Hause auf der Erde eine gemeinsame Frau hatten, die jedem von ihnen ein Kind geboren hatte. Commander Norton hoffte, sie eines Tages kennen zu lernen. Sie musste eine sehr bemerkenswerte Frau sein. Das Dreiecksverhältnis dauerte nun schon mindestens fünf Jahre und schien immer noch störungsfrei zu funktionieren.
Aber zwei Mann waren für einen Erkundungstrupp zu wenig; vor langer Zeit hatte man herausgefunden, dass drei Mann die optimale Besetzung waren - denn wenn einer verloren ging, dann konnten zwei Mann möglicherweise immer noch durchkommen, während ein einzelner Überlebender zum Tode verurteilt wäre. Nach sorgfältiger Überlegung wählte Norton den Technical Sergeant Willard Myron aus. Myron war ein mechanisches Genie. Er konnte alles zum Funktionieren bringen - oder auch etwas Besseres entwerfen, wenn das eine nicht funktionierte. Er war der ideale Mann, fremde Ausrüstungsgegenstände zu erkennen. Myron war für einen langen Forschungsurlaub von seiner normalen Aufgabe als außerordentlicher Professor am Astrotechnikum freigestellt worden, aber er hatte sich geweigert, ein Offizierspatent anzunehmen, weil er nicht die Beförderung verdienstvoller Berufsoffiziere blockieren wollte. Niemand nahm diese Erklärung sonderlich ernst; man war vielmehr allgemein der Ansicht, dass Will nicht den mindesten Ehrgeiz besitze. Er würde es bis zum Raumsergeanten bringen, aber er würde niemals ordentlicher Professor werden. Myron, wie zahllose Offiziere ohne Patent vor ihm, hatte den idealen Kompromiss zwischen Macht und Verantwortung gefunden.
Während sie durch die letzte Luftschleuse und längs der gewichtslosen Achse von Rama schwebten, fühlte Leutnant Calvert sich wie so oft mitten in einer filmischen Rückblende. Er fragte sich zuweilen, ob er nicht versuchen sollte, sich das abzugewöhnen, aber andererseits sah er keine Nachteile an dieser Sache. Damit konnte man sogar die langweiligsten Situationen interessant machen, und - wer konnte es wissen - vielleicht würde ihm diese Angewohnheit eines Tages das Leben retten. Er würde sich erinnern, was Fairbanks oder Connery oder Hiroshi in ähnlicher Lage getan hatten ...
Diesmal war er dabei, in einem der Kriege im frühen zwanzigsten Jahrhundert zum Sturm aus dem Schützengraben zu springen; Mercer war der Feldwebel, der eine Patrouille von drei Mann auf einem Nachtangriff ins Niemandsland anführte. Es fiel ihm nicht allzu schwer, sich vorzustellen, dass sie auf dem Boden eines gigantischen Bombentrichters stünden, allerdings eines Trichters, der irgendwie säuberlich zu einer Reihe ansteigender Terrassen zurechtgestutzt worden war. Der Krater war vom Licht der drei weit auseinander liegenden Plasmabögen erhellt, wodurch sich das ganze Innere nahezu schattenlos ausleuchten ließ. Doch dahinter-jenseits der fernsten Terrasse - lagen Dunkelheit und Geheimnis.
In seiner Fantasie wusste Calvert ganz genau, was dort lag. Zuerst kam die flache kreisförmige Ebene von über einem Kilometer Ausdehnung. Dann, wie breite Schienenstränge, die drei breiten Leitern, die die Ebene in drei gleich große Teile schnitten. Ihre Sprossen lagen vertieft, sodass sie kein Hindernis bildeten für hinuntergleitende Gegenstände. Da die Anordnung vollkommen symmetrisch war, bestand kein Grund, eine der Leitern zu bevorzugen; man hatte die der Luftschleuse Alpha am nächsten liegende nur der Bequemlichkeit halber gewählt.
Die Leitersprossen lagen zwar unangenehm weit auseinander, aber ein Problem war es nicht. Selbst hier am Rand der Nabe, einen halben Kilometer von der Achse entfernt, betrug die Schwerkraft kaum ein Dreißigstel von der der Erde. Und obgleich sie beinahe hundert Kilogramm an Ausrüstung und lebenswichtigen Geräten mit sich trugen, würden sie sich trotzdem mühelos weiter hangeln können.
Commander Norton und der Hilfstrupp begleiteten sie längs der Seilführungen, die man von der Luftschleuse Alpha bis zum Kraterrand gespannt hatte. Dann lag jenseits der Reichweite der Flutlichtstrahler die Dunkelheit Ramas vor ihnen. Alles, was sie in den tanzenden Strahlen der Helmlampen sehen konnten, waren die ersten paar hundert Meter der Leiter, die über die flache und sonst gestaltlose Ebene hin immer winziger wurde.
Und jetzt, sagte Mercer zu sich, jetzt muss ich meine erste Entscheidung
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