Rendezvous mit Rama
nervös, Professor?«
»Wieso denn?«, sagte Myron. »Es handelt sich um eine vollkommen normale Demonstration des Corioliseffekts. Ich wünschte wirklich, ich könnte das ein paar von meinen Studenten vorführen.«
Mercer starrte gedankenverloren auf das kreisförmige Band der Zylindrischen See.
»Habt ihr bemerkt, was mit dem Wasser los ist?«, fragte er endlich.
»Also ja - es ist nicht mehr so blau. Ich würde es erbsengrün nennen. Was hat das zu bedeuten?«
»Vielleicht das Gleiche wie auf der Erde. Laura hat dieses Meer eine > organische Suppe < genannt, die nur darauf wartet, dass man sie wieder ins Leben und zum Leben zurecht schüttelt. Vielleicht ist genau das passiert.«
»In ein paar kurzen Tagen! Auf der Erde hat das Millionen Jahre gedauert!«
»Ja, dreihundertfünfundsiebzig Millionen Jahre, nach den neuesten Schätzungen. Also daherkommt der Sauerstoff. Rama hat das anaerobische Stadium im Blitztempo hinter sich gebracht und ist zur Pflanzen-Fotosynthese übergegangen - und das in achtundvierzig Stunden. Ich bin neugierig, was das Ding morgen ausbrütet!«
22 Fahrt auf der Zylindrischen See
Als sie den Fuß der Treppe erreichten, wartete ein neuer Schock auf sie. Zuerst hatten sie den Eindruck, als sei etwas durch das Lager gezogen, habe die Ausrüstung durcheinander geworfen und sogar kleinere Gegenstande aufgesammelt und weggeschleppt. Doch nach einer kurzen Untersuchung wich ihr Schreck einem ziemlich beschämenden Ärger.
Der Übeltäter war lediglich der Wind gewesen; zwar hatten sie vor Verlassen des Lagers alle beweglichen Gegenstände festgezurrt, doch waren bei besonders starken Böen wohl ein paar Seile gerissen. Erst nach mehreren Stunden gelang es ihnen, ihr verstreutes Eigentum wieder einzusammeln.
Sonst waren keine bemerkenswerten Veränderungen zu erkennen. Selbst das Schweigen war wieder nach Rama zurückgekehrt, nun, da die kurzen Frühlingsstürme vorbei waren. Und dort draußen am Rand der Ebene lag eine ruhige See und wartete auf das erste Schiff, das in Millionen Jahren darauf fahren würde.
»Sollte nicht ein jungfräuliches Schiff mit einer Flasche Champagner getauft werden?«
»Selbst wenn wir eine an Bord hätten, ich würde eine solche kriminelle Verschwendung nicht erlauben. Außerdem ist es sowieso zu spät. Wir haben das Ding ja schon vom Stapel gelassen.«
»Immerhin, es schwimmt. Sie haben Ihre Wette gewonnen, Jimmy. Ich zahle, sobald wir wieder auf der Erde sind.«
»Es muss einen Namen bekommen. Fällt Ihnen einer ein?«
Der Gegenstand, dem diese wenig schmeichelhaften Bemerkungen galten, tanzte in diesem Augenblick an den Stufen, die in die Zylindrische See hinabführten. Ein kleines Floß, aus sechs leeren Versorgungskanistern zusammengestückelt und von einem Leichtmetallrahmen zusammengehalten. Die Konstruktion, der Zusammenbau in Camp Alpha und der Transport mithilfe abnehmbarer Räder über mehr als zehn Kilometer Ebene hatten mehrere Tage lang die gesamte Mannschaft in Anspruch genommen. Es war ein Einsatz, der sich besser bezahlt machen sollte.
Der Preis war natürlich das Risiko wert. Die rätselhaften Türme New Yorks, die dort fünf Kilometer vor ihnen im schattenlosen Licht glänzten, hatten sie angelockt, seit sie Rama zum ersten Mal betreten hatten. Keiner zweifelte daran, dass diese Stadt - oder was immer es sein mochte - das Herzstück dieser Welt war. Sie mussten New York erreichen, wenn sie auch sonst weiter keinen Erfolg haben würden.
»Wir haben noch immer keinen Namen dafür, Skipper. Was machen wir da?«
Norton lachte, dann wurde er jedoch plötzlich ernst.
»Ich habe einen Namen. Nennt es Resolution.«
»Warum?«
»So hieß eines von Kapitän Cooks Schiffen. Es ist ein guter Name. Möge sie sich seiner würdig erweisen.«
Es trat ein gedankenschweres Schweigen ein; dann fragte Sergeant Barnes, die am meisten für das geplante Vorhaben verantwortlich war, nach drei Freiwilligen. Alle Anwesenden hoben die Hand.
»Tut mir leid - aber wir haben nur vier Schwimmwesten. Boris, Jimmy, Pieter - ihr habt doch alle bereits ein bisschen Segelerfahrung. Probieren wir sie also aus.«
Niemand fand es im geringsten eigenartig, dass nun ein Executive Sergeant die Dinge in die Hand nahm. Ruby Barnes besaß als Einzige an Bord ein Magisterdiplom, und damit war die Sache erledigt. Sie hatte bei Regatten Trimaranboote über den Pazifik gesteuert, und es war ziemlich unwahrscheinlich, dass ein paar Kilometer ölglattes Wasser ihre
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