Rendezvous mit Rama
Glücklicherweise war der Spielraum für Irrtümer ziemlich groß, und außerdem beobachtete immer jemand durch das Teleskop an der Nabe, wie er vorankam.
Er befand sich nun weit draußen über dem Meer und strampelte gleichmäßig mit zwanzig Stundenkilometern vor sich hin. In fünf Minuten würde er über New York sein; schon jetzt wirkte die Insel mehr wie ein Schiff, das für immer und ewig rund um die Zylindrische See fuhr.
Als er New York erreicht hatte, drehte er einen Kreis über der Stadt, wobei er mehrere Male anhielt, damit seine kleine Fernsehkamera ruhige, erschütterungsfreie Bilder rückübertragen könne. Das Panorama der Gebäude, Türme, Fabrikanlagen, Elektrizitätswerke oder was immer das war faszinierte ihn, wenn ihm der Sinn dieser Monumente auch verschlossen blieb. Gleichgültig, wie lange er darauf hinunter starren würde, es bestand kaum Hoffnung, dass er etwas dabei entdecken würde. Die Kamera würde weit mehr Einzelheiten aufzeichnen, als er selbst im besten Fall aufnehmen könnte; und eines Tages, vielleicht erst Jahre später, würde irgendein Gelehrter dann in ihnen den Schlüssel zu den Geheimnissen Ramas entdecken.
Er ließ New York hinter sich und überquerte die zweite Hälfte der See in nur fünfzehn Minuten. Obwohl es ihm nicht bewusst geworden war, hatte er über dem Wasser mehr Tempo zugelegt, doch sobald er die Südküste erreicht hatte, ließ seine innere Spannung nach, und seine Geschwindigkeit sank um mehrere Kilometers pro Stunde. Er mochte sich ja über völlig fremdartigem Gebiet bewegen - aber zumindest war er über festem Boden.
Sobald er das große Kliff überflogen hatte, das die südliche Grenze des Meeres bildete, ließ er die Kamera einen ganzen Kreisschwenk um die Welt machen.
»Wunderschön!«, staunte die Nabenkontrolle. »Da werden sich die Kartografen aber freuen. Wie geht's?«
»Prima - nur ein bisschen müde, aber nicht mehr als erwartet. Wie weit bin ich vom Pol?«
»Fünfzehn Komma sechs Kilometer.«
»Sagt mir, wenn ich bei zehn bin. Dann mach ich Pause. Und passt auf, dass ich nicht wieder Höhe verliere. Ich werde höher gehen, wenn ich bei fünf Kilometer angelangt bin.«
Zwanzig Minuten später begann die Welt um ihn enger zu werden; er hatte das Ende des zylindrischen Teils erreicht und näherte sich nun der Südkuppel.
Vom anderen Ende Ramas aus hatte er das Gebiet stundenlang durch ein Teleskop studiert und kannte inzwischen seine geografische Beschaffenheit im Schlaf. Doch selbst das hatte ihn nicht ausreichend auf das Schauspiel, das sich ihm ringsum bot, vorbereiten können.
Die nördliche und die südliche Kuppel Ramas waren in fast allem gänzlich verschieden voneinander. Hier gab es keine dreifache Treppenkonstruktion, keine Gruppen von schmalen konzentrischen Terrassen, keine steile Krümmung von der Nabe zur Ebene hinab. Stattdessen ragte ihm hier in der Mitte ein riesiger Dorn von fünf Kilometern Länge genau auf der Achse entgegen. Sechs kleinere, von halber Länge, umgaben ihn in gleichen Abständen: Das Ganze wirkte wie eine Gruppierung von bemerkenswert symmetrischen Stalaktiten, die von einer Höhlendecke herabhängen. Oder wenn man den Standpunkt umkehrte, wie die Stupas kambodschanischer Tempel auf dem Grund eines Kraters ...
Diese schlanken spindelförmigen Türme waren durch Strebebögen miteinander verbunden, die sich nach unten krümmten und schließlich mit der zylindrischen Ebene verschmolzen. Sie wirkten stabil genug, das Gewicht einer ganzen Welt zu tragen. Und dies war möglicherweise auch ihre Funktion, wenn sie wirklich die Elemente irgendwelcher exotischer Treibsätze waren, wie manche vermuteten.
Leutnant Pak näherte sich vorsichtig dem Mittelstachel, hielt mit dem Treten inne, solange er noch einige hundert Meter von ihm entfernt war, und ließ die Libelle ausschweben. Er überprüfte die Strahlungshöhe, fand aber nur die sehr niedrigen Grundwerte von Rama. Es waren ja hier möglicherweise Kräfte am Werk, die mit keinem menschlichen Instrument erfasst werden konnten, aber dies war eben ein weiteres unkalkulierbares Risiko.
»Was können Sie sehen?«, fragte die Nabenkontrolle eifrig.
»Nur das Große Horn - es ist vollkommen glatt - keine Markierungen und die Spitze ist so scharf, dass man sie als Nadel verwenden könnte. Ich habe fast ein wenig Angst, ihr nahe zu kommen.«
Er sagte dies nur halb im Scherz. Es schien unglaublich, dass ein dermaßen gewaltiges Objekt sich zu einer geometrisch so
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