Rendezvous mit Übermorgen
Schluck Wasser und schluckte heftig. »Aber am meisten tut es mir leid, dass ich Ihnen nie gesagt habe, was für ein großartiger Mensch Sie für mich sind. Sie sind intelligent, attraktiv, witzig, empfindsam - eben alles, was ich in einer Frau zu finden geträumt habe - vergeblich bisher. Und trotz unserer außerordentlichen Situation hatte ich einfach Angst und konnte Ihnen nicht sagen, was ich empfinde. Vermutlich sitzt die Angst vor Zurückweisung ziemlich tief in mir.«
In Richards Augenwinkeln quollen Tränen auf und rannen ihm über die Wangen. Er zitterte. Nicole begriff, welch ungeheure Überwindung es ihn gekostet haben musste. Sie zog seine Hände vom Tisch und legte sie sich an die Wangen.
»Und ich glaube, dass auch du etwas ganz Außergewöhnliches bist«, sagte sie und küsste seine Handflächen.
50 Der Hoffnung ewig junger Spross
Richard arbeitete weiter am Rama-Computer, aber er beschrankte sich auf kürzere Perioden und holte Nicole hinzu, wann immer es möglich war. Sie unternahmen gemeinsam Spaziergange und plauderten dabei wie uralte Freunde. Richard amüsierte Nicole, indem er ihr ganze Szenen aus Shakespeare-Stücken vorspielte. Der Mann besaß ein phänomenales Gedächtnis. Allerdings, als er in den Liebesszenen aus Romeo und Julia beide Rollen zu spielen versuchte, brach Nicole jedes Mal bei Julias Falsettstimme in schallendes Gelächter aus.
In einer Nacht sprachen sie über eine Stunde lang von Omeh, dem Stamm der Senoufo und Nicoles Visionen. »Du musst verstehen«, sagte Richard, um seine Neugier ein wenig abzuschwächen, »dass es mir schwerfallt, einige Aspekte dieser Geschichten als Realität zu akzeptieren. Trotzdem gebe ich gern zu, dass ich sie absolut faszinierend finde.« Und später stürzte er sich höchst interessiert in die Analyse der symbolischen Verschlüsselungen in Nicoles Visionen. Es war unverkennbar, dass er die Mystik einfach als weitere Komponente in Nicoles reicher Persönlichkeitsstruktur akzeptiert hatte.
Sie schliefen eng aneinander geschmiegt, bevor sie sich zum ersten Mal liebten. Und als sie es dann taten, geschah es zärtlich und ohne Hast und erstaunte beide, weil es so mühelos und so erfüllend war. Ein paar Nächte später lag Nicole mit dem Kopf auf Richards Brust und glitt entspannt zwischen Schlaf und halbem Wachsein hin und her. Richard schien tief in Gedanken. »Vor ein paar Tagen«, er stubste sie wach, »bevor wir uns so nahe gekommen sind, hab ich dir erzählt, dass ich einmal an Selbstmord gedacht habe. Neulich wagte ich noch nicht, dir die ganze Geschichte zu erzählen. Magst du sie jetzt hören?«
Nicole öffnete die Augen, rollte sich herum und legte ihm das Kinn auf den Bauch. »Hmm«, machte sie. Dann schob sie sich hoch und küsste ihn auf die Augenlider.
»Du weißt wahrscheinlich«, begann er, »dass Sarah Tydings und ich in jungen Jahren verheiratet waren. Sie hatte ihren ersten Jahresvertrag bei der Royal Shakespeare Company, und sie war noch nicht berühmt. Sie spielte Romeo undJulia, Wie es Euch gefällt und Cymbeline en suite in Stratford. Sarah war die Rosalind und die Julia und in beiden Rollen phantastisch.
Sie war damals gerade achtzehn, frisch von der Schauspielschule. An dem Abend, als ich sie zum ersten Mal als Julia sah, verliebte ich mich in sie. Und von da an schickte ich ihr jeden Abend Rosen in ihre Garderobe und brauchte fast meine ganzen Ersparnisse auf, um sämtliche Vorstellungen zu sehen. Wir trafen uns zweimal zu einem ausgedehnten Abendessen - und dann machte ich ihr einen Heiratsantrag. Sie nahm ihn an. Wohl mehr aus Verblüffung als aus Liebe.
Nach den Sommerferien ging ich nach Cambridge mit einem Forschungsauftrag. Wir lebten in einem bescheidenen Appartement, und sie pendelte zum Theater in London hin und her. Wann immer ich konnte, fuhr ich mit ihr, aber ein paar Monate später verschlang meine Arbeit immer mehr Zeit.«
Richard schwieg und blickte auf Nicole hinab. Sie hatte sich nicht bewegt, sondern lag mit einem zärtlichen Lächeln im Gesicht immer noch halb über ihm. »Weiter«, sagte sie leise.
»Sarah war sozusagen adrenalinsüchtig. Süchtig nach Aufregungen und Abwechslung. Der triviale Alltagskram widerte sie an. Lebensmittel einkaufen, beispielsweise, war für sie tödlich langweilig. Es war ihr einfach eine zu große Mühe, den Set anzuschalten und sich zu entscheiden, was sie bestellen wollte. Und für sie war auch jegliche Ordnung und Planung unglaublich einengend.
Wenn wir uns
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