Rendezvous mit Übermorgen
I.
Kurz nachdem die letzte Gestalt an Richard vorbeigezogen war, stand Nicole an seiner Seite. »Was ist los?«, fragte sie. »Warum haben die nicht haltgemacht?« Richards Gesicht war totenbleich. »Liebster, was ist los mit dir?«
»Die sind Bioten«, murmelte Richard. »Das sind verdammte menschliche Bioten!« » Waaas?« In Nicoles Stimme klang Entsetzen. Sie lief rasch an die Spitze des Trupps und starrte auf das Gesicht hinter dem
Helmglas. Unzweifelhaft, es war Norton. Jeder Gesichtszug, sogar die Farbe der Augen und der feine Schnurrbart - alles in höchster Perfektion. Aber die Augen waren völlig ausdrucklos.
Und nun, wo sie darauf achtete, erschien ihr auch die Körperbewegung als künstlich. Jede Doppelschrittbewegung eine mechanische Wiederholung. Und von einer Gestalt zur andern auch nur geringfügige Unterschiede. Richard hat recht , dachte sie. Das sind Human-Bioten. Sie müssen nach Bildvorlagen geschaffen worden sein, genau wie die Zahnpasta oder die Haarbürste. Momentan drohte Panik in ihr aufzusteigen. Aber wir brauchen ja gar keine Rettungsmannschaft, beruhigte sie sich dann selbst, das Militärschiff ist ja noch oben an der Schale angedockt.
Die Entdeckung der Humanbioten hatte Richard betäubt. Er blieb eine Weile im Rover hocken, hatte keine Lust loszufahren und stellte sich selbst und Nicole Fragen, die auch er selbst kaum hätte beantworten können. »Also, was ist hier eigentlich los?«, sagte er immer wieder. »Haben sämtliche von diesen Bioten hier Urbilder in real-existierenden Spezies, die es irgendwo im Universum gibt? Und vor allem, wieso werden sie überhaupt angefertigt?«
Ehe sie sich dann auf die Fahrt zum Sessellift aufmachten, bestand Richard darauf, dass sie beide eine Menge Meter Video-aufnahmen von den Humanbioten machten. »«Die Vögel und die Spinnenwesen sind interessant«, sagte er, während er einen Spezialschuss von »Nortons« Beinarbeit machte, »aber das Band da wird alle von ihren bequemen Ärschen reißen!«
Nicole mahnte ihn, dass sie nur noch zwei Stunden bis zum Anbruch der Nacht hätten und dass sie vielleicht dennoch gezwungen sein würden, die »Treppe der Götter« hinaufzukraxeln. Nachdem Richard zu seiner Zufriedenheit das groteske Defilee der Humanbioten für die Nachwelt aufgezeichnet hatte, glitt er wieder auf den Fahrersitz des Rovers und lenkte ihn auf die Alpha-Treppe zu.
Es erwies sich als unnötig zu checken, ob der Sessellift noch sicher funktionierte, denn als sie dort ankamen, lief er. Richard schwang sich aus dem Rover und eilte in die Kontrollkabine.
»Da kommt jemand runter«, rief er und wies nach oben.
»Ja, oder etwas«, sagte Nicole zwischen den Zähnen.
Die fünf Minuten, die sie warten müssten, kamen ihnen wie eine Ewigkeit vor. Zunächst sprachen sie beide kein Wort. Doch dann schlug Richard vor, sie sollten sich vielleicht doch besser in den Rover setzen, für den Fall, dass sie rasch »abhauen« müssten.
Sie richteten die Ferngläser auf das lange Kabel, das sich vor ihnen in den Himmel hinaufspannte. »Es ist ein Mann!«, rief Nicole aufgeregt.
»Es ist General OToole!«, sagte Richard kurz darauf.
Er war es. General Michael Ryan O'Toole von der American Air Force kam im Sessellift herabgeschwebt. Noch hing er etliche hundert Meter über Nicole und Richard und hatte sie noch nicht erspäht. Er war vielmehr damit beschäftigt, durch sein Fernglas die Schönheiten der befremdenden Landschaft zu bewundern.
Der General hatte sich gerade angeschickt, Rama endgültig zu verlassen, als er bei seiner Himmelfahrt im Sessellift etwas entdeckt hatte, das wie drei Vögel aussah, die weit drüben im südlichen Rama-Himmel dahinflogen. Also hatte der General beschlossen, wieder nach unten zu fahren, um eventuell diese Vögel erneut aufzuspüren. Die jubelnde Begrüßung, die ihn am Ende seines Abstiegs erwartete, traf ihn völlig überraschend.
53 Plan Trinity
Als Richard Wakefield die Newton verließ, um wieder ins Rama-Innere zu gehen, war General OToole der Letzte an Bord gewesen, der ihm Adieu sagte. Der General hatte geduldig gewartet, bis die übrigen Kosmonauten sich von Richard verabschiedet hatten. Janos Tabori etwa hatte seinen britischen Freund gefragt: »Und du hast wirklich vor, das zu machen? Du bist dir doch im Klaren darüber, dass das Komitee in ein paar Stunden einhellig beschließen wird, Rama zu evakuieren?«
Richard hatte Janos angegrinst und gesagt: »Und bis dahin bin ich schon unterwegs nach Beta.
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