Rendezvous mit Übermorgen
ist, umzudenken, unser Leben zu ändern und unsere endgültige Evolution zu beginnen.«
Der General legte das Template nieder und rieb sich die Augen. Er hatte den Text der Predigt schon früher gelesen (um genau zu sein, kurz vor seiner Audienz beim Papst in Rom), aber da war sie ihm als nicht so bedeutungsschwanger erschienen wie jetzt. Also - was bist du, Rama f, sann er. Ein Albtraum und eine Bedrohung für Courtney Bothwell - oder der Vorbote der Wiederkunft des Gottgesalbten
In der Stunde, die ihm noch vor dem Frühstück blieb, schwankte der General noch immer. Er wusste nicht, wie er sich entscheiden würde. Dass er von seinem kommandierenden Offizier den unzweideutigen Befehl erhalten hatte, lastete schwer auf ihm. Er war sich durchaus bewusst, dass er bei seiner Dienstverpflichtung nicht nur geschworen hatte, Befehlen zu gehorchen, sondern auch, die Courtney Bothwells des Planeten zu beschützen. Gab es ausreichend Beweise für die Amoral dieses Befehls, dass er seinen Eid brechen durfte?
Solange er sich bei Rama nur eine gigantische Maschine vorstellte, fiel es O'Toole nicht allzu schwer, sich mit der Zerstörung abzufinden. Durch sein Tun würden schließlich ja keine »Ramaner« getötet werden. Aber wie war das noch, was Wakefield gesagt hatte? Dass das ramanische Raumschiff möglicherweise weitaus intelligenter sei als irgendein Lebewesen auf der Erde - einschließlich des Menschen? Und warum sollte eine überlegene künstliche Maschinenintelligenz nicht eine besondere Stellung unter den Schöpfungen Gottes einnehmen, vielleicht sogar eine bedeutendere als die weniger entwickelten Lebensformen ?
Schließlich wurde der General von seiner Müdigkeit überwältigt. Er war so erschöpft, dass ihm einfach keine Kraft mehr blieb, sich mit dem nicht abreißenden Strom von Fragen auseinanderzusetzen, auf die er keine Antwort fand. Widerstrebend beschloss er, seinem inneren Kampf ein Ende zu machen, und schickte sich an, seine Befehle in die Tat umzusetzen.
Als Erstes ging er noch einmal seinen auswendig gelernten RQ-Code durch, eine besondere Reihung von 50 ganzer Zahlen zwischen 0 und 9, die nur ihm persönlich und den Prozessoren im Zündmechanismus der Bomben bekannt war. Vor dem Start der Newton von der Erde hatte O'Toole höchstpersönlich seinen Code eingegeben und überprüft, dass er in sämtlichen Bomben richtig gespeichert war. Die Zahlenkette war so lang, um die Wahrscheinlichkeit auszuschließen, dass sie vermittels elektronischer repetitiver Spürmechanismen kopiert werden könnte. Allen Militärangehörigen der Newton war nahegelegt worden, bei der Wahl ihrer Zahlensequenz zwei Kriterien zu beachten: Erstens sollte der Code für sie praktisch unvergesslich sein; zweitens durfte er nicht hanebüchen simpel sein, etwa sämtliche Telefonnummern der näheren Verwandtschaft, die von außenstehenden Interessenten ohne Schwierigkeiten aus den Personalakten erschlossen werden könnten.
Aus sentimentalen Gründen hatte O'Toole aber gewollt, dass neun Ziffern in seinem Code sein eigener Geburtstag (3-29-42) und der seiner Frau (2-7-46) sein sollten. Natürlich wusste er, dass jeder geübte Dechiffrierer sofort nach genau solchen augenfälligen Zahlenkombinationen Ausschau halten würde. Also beschloss OToole, die Daten über die fünfzig Zahlen zu verteilen. Was aber sollte er mit den restlichen einundvierzig machen? Diese Ziffer - 41 - hatte ihn seit seinem zweiten Semester am MIT, seit einer ausgedehnten Bier-und-Pizza-Orgie verfolgt. Einer seiner Kumpane, ein brillanter junger Zahlentheoretiker, hatte ihm im Verlauf einer ziemlich feuchtfröhlichen Diskussion erklärt, dass die 41 »eine ganz besondere Zahl« sei, »die erste Integrale der längsten fortlaufenden Reihe quadratischer Primzahlen« ...
OToole begriff nie so recht, was mit »quadratischen Primzahlen« gemeint sein sollte. Er begriff aber immerhin - und mit einiger Faszination - die Tatsache, dass die Serie 41, 43, 47, 53, 61, 71, 83, 97, wobei jede folgende Zahl durch Erhöhung der Differenz zur vorherigen um zwei bestimmt wurde, zu exakt vierzig fortlaufenden Primzahlen führte. Diese Primzahlenkette brach erst ab, wenn die einundvierzigste Zahl in der Reihe sich als Nicht-Primzahl entpuppte, nämlich 41 x 41 = 1681. O'Toole hatte diese wenig bekannte Information nur ein einziges Mal in seinem Leben einem andern mitgeteilt, nämlich seiner Frau Kathleen an ihrem einundvierzigsten Geburtstag, und da war die Reaktion dermaßen wenig
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