Renegade
lernen musste, bevor Mutter
mich hierhergeschickt hat. »WeiÃt du noch, wo sich die Tür befindet, durch die
du hereingekommen bist?«
Er kratzt an einer
Wunde auf seinem Knie herum. »Ja.«
Ich warte, aber mehr
Information gibt er nicht preis. »Wo ist sie?«, hake ich nach.
Belustigt sieht er
mich an. »Ãh-äh. Eine Frage, eine Antwort.«
In mir flackert Wut
auf, und ich schlieÃe schnell die Augen.
Wut ist ein Gift, das deine Schönheit
zerfrisst.
Ich atme tief ein.
Lass das beruhigende Lavendelblau rein.
Lass die giftgrüne Wut raus.
Dann öffne ich die Augen wieder.
»Also schön. Wie lautet deine Frage?«
Mit einem
beunruhigend durchdringenden Blick fragt er wie aus der Pistole geschossen:
»Wohin bist du von hier aus gegangen?«
»Zum Therapeuten. Wo
befindet sich die Tür?«
Er runzelt die Stirn
und zögert kurz. Als er schlieÃlich antwortet, spricht er so leise und
nachdrücklich, als wäre ich ein bockiges Kind: »Ich weià nicht mehr genau, wie
man hinkommt, aber sie befindet sich in der Nähe deines Gartens. Der übrigens
sehr schön ist.«
Mir ist
schleierhaft, was das mit der Sache zu tun hat. »Na und?«
Auf seinem Gesicht
breitet sich ein Grinsen aus, das ein Flattern in meiner Magengrube auslöst.
»Dein Garten«, wiederholt er. »Ich konnte ihn mir ja nicht so genau ansehen,
aber er ist sehr schön. Hast du ihn entworfen?«
Als mein Garten vor
meinem inneren Auge erscheint, muss ich unwillkürlich lächeln. Sofort entspanne
ich mich etwas. »Ja. Ich durfte mir die Pflanzen aussuchen und bestimmen, wie
sie angeordnet werden.«
Er rückt ein wenig
näher, und diesmal weiche ich nicht zurück. Ich will es nicht mehr. Es fühlt
sich an, als wäre ein Magnet zwischen uns, der uns zueinander hinzieht.
»Er hat mir wirklich
gut gefallen. Sicher verbringst du viel Zeit dort.«
»So ist es. Entweder
kümmere ich mich um meine Blumen, oder ich mache Nährarbeiten, oder ich spiele
Geige.«
»Klingt, als hättest
du alle Hände voll zu tun.«
Ich winke ab. »Ach,
das stört mich nicht.
MüÃiggang
ist aller Laster Anfang.
«
Seine Augen funkeln
aufgeregt, als hätte ich etwas gesagt, das ihm wichtig ist. »Was für ein
interessanter Gedanke.« Er mustert mich fragend. »Und was machst du sonst noch
gerne?«
»Gerne?« Da muss ich
nachdenken. Das hat mich noch nie jemand gefragt. »Lesen. Mutter hat eine umfangreiche
Bibliothek.«
»Wirklich?« Das
scheint ihn zu überraschen. »Ich lese auch unheimlich gern.«
Ich ziehe die Beine
an und wende mich Gavin zu, sodass ich ihn direkt ansehe. »Tatsächlich? Von meinen
Verehrern hier interessiert sich kein einziger für Bücher.«
Verwirrt runzelt er
die Stirn. »Verehrer?«
»Ja, die jungen
Männer, die Mutter als Verpaarungskandidaten für mich ausgesucht hat. Ich darf
zwischen ihnen wählen. Was für Geschichten magst du denn so? Möglicherweise
kennen wir ja die gleichen Bücher?«
Er nennt ein paar
Buchtitel, mit denen ich nichts anfangen kann, dann fragt er: »Verpaarung, was
bedeutet das?«
Die Fragen, die
Mutter mir auferlegt hat, verschwinden irgendwo in den nebligen Tiefen meines
Verstandes. »Ich bin nicht nur die Tochter des Volkes, sondern wurde auch für
die gröÃte Ehre auserwählt, die einer Frau zuteilwerden kann. Ich wurde dazu
auserkoren, ein Kind zu gebären.«
»Was?«, ruft er so
laut, dass ich erschrocken zusammenzucke. »Aber du bist doch selbst noch ein Kind.«
Wütend verschränke
ich die Arme vor der Brust. »Eine Frau ist ab ihrem sechzehnten Geburtstag dazu
qualifiziert, ein Kind zu bekommen. Und ich bin bereits seit drei Monaten
qualifiziert.
Es
ist eine Ehre für mich, meine Pflicht zu erfüllen und sicherzustellen, dass in
Elysium nur die Besten geboren werden.«
Fassungslos starrt
er mich an. »Etwas so Groteskes habe ich ja noch nie gehört. Was ist denn mit
der Familie? Hat die bei euch überhaupt keine Bedeutung?«
Die Frage löst eine
leise Sehnsucht in mir aus. Ich kann mich nicht an meine leiblichen Eltern
erinnern, sicher meint er die. Unwillkürlich streiche ich mit den Fingern über
meine Halskette. »Hast du eine Familie?«
»Na klar.« Es kommt
mir so vor, als wollte er eigentlich noch die Frage »Hat die nicht jeder?« hinzufügen,
doch
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