Renegade
einzelne Sitzung.«
»Warum nicht?«
»Ich ⦠ich weià es
nicht.« Hilflos sehe ich ihn an. »Zwar erinnere ich mich nicht immer an jedes
Mal, wenn ich bei ihm war, oder an die Zeit kurz davor oder kurz danach. Aber
es ist weniger geworden.«
»Sie verlangt also
nur noch an bestimmten Tagen, dass du zum Therapeuten gehst. Das ist ja
interessant. Dann hängt das wahrscheinlich irgendwie mit deinem Verhalten
zusammen.« Er hört auf zu tippen und starrt reglos ins Leere. »Ich würde
wetten, das passiert jedes Mal, wenn sie etwas an dir bemerken, das ihnen nicht
passt. Und dann reparieren sie es.« Eindringlich fügt er hinzu: »Lass dir bloÃ
nicht anmerken, dass sich etwas geändert hat. Sie dürfen dich nicht weiter
konditionieren.«
»Warum interessiert
dich das überhaupt?«
Darauf hat Gavin
nicht sofort eine Antwort.
»Weil du hoffst, ich
würde dir bei der Flucht helfen«, stelle ich fest.
Er hat nicht damit
gerechnet, dass ich die Wahrheit erraten würde, das erkenne ich daran, wie er
auf seine Schuhe starrt.
Das entlockt mir ein
Lächeln. »Ist schon in Ordnung. Ich kann verstehen, dass du mir nicht traust.
Wenn ich von da kommen würde, wo du herkommst, würde ich wahrscheinlich auch
niemandem vertrauen.«
»Was soll das denn
heiÃen?«
»Die Oberfläche.«
Ich zeige nach oben. »Der Krieg, die Kämpfe ⦠ich wüsste nicht, wie man nach
all dem überhaupt jemandem trauen sollte.«
»Im Gegensatz zu
hier unten?«
Ich nicke.
»Klar, man hat mich
hier ja auch echt herzlich willkommen geheiÃen.«
»Zugegeben, der
erste Eindruck muss schlimm gewesen sein. Erst tötet die Selbstschussanlage
deinen Freund, dann wirst du hier eingesperrt, aber â¦â«
Er fällt mir ins
Wort: »Was ich viel seltsamer finde, ist die Tatsache, dass du hier unten noch irgendjemandem traust.«
»Zu deinem Glück.«
Ich werfe ihm einen scharfen Blick zu.
»Ach ja?«
»Denn eigentlich sollte ich dir so viele Informationen wie
möglich entlocken und dich dann den Vollstreckerinnen ausliefern.«
Er leckt sich nervös
über die Lippen, weicht meinem Blick jedoch nicht aus. »Was du aber nicht tun
wirst.«
»Stimmt, das werde
ich nicht.«
»Und warum nicht?«
Jetzt werde ich
nervös. Ich kann ihm schlieÃlich nicht sagen, dass er dieses Prickeln in meiner
Magengrube auslöst. »Weil ich dir glaube, wenn du sagst, dass die Oberfläche
nicht so ist, wie man es mich gelehrt hat. SchlieÃlich weiÃt du ja auch nicht,
wie es hier in Elysium zugeht. Und ich glaube dir, wenn du behauptest, dass du
einfach nur nach Hause willst, um dich um deine Familie zu kümmern. Ich weiÃ,
was Pflichten sind. Meinem Erinnerungsvermögen kann ich vielleicht nicht immer
trauen, aber meinem Instinkt schon. Und mein Instinkt sagt mir, dass du Hilfe
brauchst.«
Er zuckt kaum
merklich zusammen; er ist also immer noch auf der Hut, was mich betrifft.
»Nichts von dem, was mir hier unten begegnet ist, würde ich als normal
bezeichnen«, sagt er schlieÃlich. »Aber du bist wahrscheinlich das Seltsamste
von allem.«
»Seltsam?«, wehre
ich mit gespielter Empörung ab. Gleichzeitig spüre ich wieder dieses Kribbeln,
als ich ihm in die Augen sehe. Seine Angst scheint sich etwas gelegt zu haben,
doch der Blick seiner bemerkenswerten grauen Augen ist immer noch unglaublich
intensiv.
»Faszinierend«,
verbessert er sich.
Das Kribbeln
erreicht meine Fingerspitzen, und schnell vergrabe ich sie in meinem Rock.
»Vertraust du mir?«
»Ja. Ich habe
schlieÃlich nichts zu verlieren, oder?«
»Wahrscheinlich
nicht.«
»Du hingegen schon,
richtig?«
Ich zucke mit einer
Schulter. »Solange wir vorsichtig sind, nicht.«
Ein trockenes
Lächeln huscht über sein Gesicht. »Du bist wahrhaftig faszinierend, Evelyn.«
Als sich unsere
Blicke treffen, verändert sich irgendetwas zwischen uns. So etwas habe ich noch
nie gespürt, gleichzeitig kommt es mir vertraut vor. Ich werde rot, und wir
wenden beide den Blick ab. Verlegen starre ich auf den FuÃboden, und keiner von
uns weiÃ, was er jetzt sagen soll.
»Wie war das?«,
bricht Gavin schlieÃlich das drückende Schweigen. »Bei euch darf man sich
wirklich erst berühren, wenn man verpaart ist?«
Ich schaue weiter
auf den schmutzigen Boden.
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