Renner & Kersting 02 - Mordswut
zueinander?«
„Also, ich sag mal so, traurig ist der Bergedorf bestimmt nicht über Kowenius’ Ableben. Der hatte immer mehr Patienten. Und auch den besseren Ruf.« Sie schob ein Stäbchen in den Mund, zündete es an und inhalierte genießerisch. „Ich mein, der Bergedorf ist nicht schlecht, im Gegenteil, aber der Kowenius konnte sich besser verkaufen. Der Bergedorf kann nicht so gut mit Menschen umgehen. Der sagt einem Patienten glatt die Meinung, wenn er glaubt, dass der seine Medikamente nicht nimmt oder auf einen gelben Schein aus ist. Das tat der Kowenius nie.«
„Ich könnte mir vorstellen, dass das böses Blut zwischen ihnen gab. Und vielleicht auch unter den Patienten?« Helga schob ihre Cola fort. Sie mochte das süße Zeug nicht. Da sie jetzt auch keine Erklärung mehr für ihre Anwesenheit brauchte, konnte sie einen Cappuccino bestellen. Die Krankheit würde ihr die Finkamp sowieso nicht mehr abnehmen. Nach einem flüchtigen Blick in die Karte verlangte die Arzthelferin einen „Sex on the beach«.
„Man muss alles mal probieren«, meinte sie und grinste vieldeutig. Bis die neuen Getränke kamen, herrschte Schweigen. Dann nahm Helga den Faden wieder auf. „Gibt es jemand, einen Patienten vielleicht, der Kowenius gehasst hat? Auch Ärzte machen Fehler.«
Die Finkamp schüttelte ihre Locken. Sie trug die Haare jetzt offen, so dass sie ihr über die Schulter fielen. „Nee, da fällt mir keiner ein. Müsste ich mal drüber nachdenken, aber – nee.« Sie nahm einen kräftigen Schluck. „Hm, nicht schlecht. Könnte ruhig mehr Gin drin sein.«
„Sie sagten heute Nachmittag, die Hellwitz hätte die Täterin in flagranti erwischt. Wie meinten Sie das?« Helga rief sich innerlich zur Ordnung. Beinahe hätte sie die wichtigste Frage vergessen.
„Ja, aber sagen Sie das bloß nicht weiter. Die Hellwitz hat eine Heidenangst, ihren Namen in der Zeitung zu sehen. Verstehen Sie das? Ich hätte nichts dagegen, auf diese Weise bekannt zu werden.« Affektiert strich sie mit den Fingern durch die Blondgefärbten. „Das war nämlich so: Sie war dem Chef nachgefahren, um ihm sein Handy zu bringen, das er in der Praxis vergessen hatte. Der hatte überhaupt keinen Durchblick mehr, wenn Sie verstehen, was ich meine ... Hat nur noch an seine Hochzeit gedacht. Aber sein Handy wollte er immer bei sich haben. Seine private Festnetznummer ist nämlich geheim, die hat er nicht mal uns verraten, alle Notrufe gehen über Handy. Tja – und als sie dann ankam, die Hellwitz mein ich, sah sie Kowenius am Boden liegen, alles voller Blut, und die Michalsen hockte neben ihm, das Messer in der Hand. Muss ein irre geiles Bild gewesen sein – wenn es stimmt.«
„Sie sagen es. Aber das Bild kann nicht stimmen. Auch das haben Sie eben gesagt.«
„Das ist das Problem, deshalb sitze ich hier. Ich mein, wenn die Michalsen es war, dann wäre sie doch nicht einfach neben der Leiche sitzen geblieben. Welcher Täter ist denn so bescheuert? Außerdem stand sie dermaßen unter Schock, dass sie kein Wort heraus bekommen hat. Den Notarzt musste die Hellwitz rufen. Und eins können Sie mir glauben, egal wie blöd die Hellwitz als Kollegin ist, von ihrem Job versteht sie was. Wenn die sagt, die Michalsen hatte Lähmungen wegen Hyperventilationste...te... dingsbums oder so, dann war das auch so. Und außerdem – können Sie sich eine Mörderin vorstellen, die erst ihren Verlobten umbringt und dann vor Schreck so hastig atmet, dass sie neben der Leiche zusammenbricht? Ich nicht.«
Helga bewegte ihren Kopf leicht von einer Seite zur anderen. „Wie ist die Hellwitz rein gekommen?«
„Mit nem Schlüssel.«
„Ist das normal, ich meine, dass ein Arzt einer Helferin den Schlüssel zu seiner Privatwohnung gibt?«
„Sie stellen vielleicht Fragen! Natürlich nicht. Ich sag ja, zwischen den beiden muss irgendwas gelaufen sein, worüber sie nicht sprachen.«
Mehr wusste die Sprechstundenhilfe nicht. Sie warf einen Blick auf die Uhr und geriet in Hektik, da sie noch einiges mehr einkaufen wollte. Beide tranken aus, die Finkamp etwas schneller. Als endlich der Kellner kam und Helga zahlen konnte, war ihre Gesprächspartnerin bereits verschwunden. Bevor die zur Detektivin beförderte Lehrerin die Richtung zum Parkplatz einschlug, drehte sie eine Runde durch die Stadt, um ihre Eindrücke zu sortieren. Zu viele Informationen waren heute auf sie eingestürmt. Sie hatte das Gefühl, als drehte sich in ihrem Kopf ein Rad, das nicht anzuhalten war.
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