Renner & Kersting 02 - Mordswut
meisten es cool fanden, sich wie die Alten zu benehmen, begriffen sie im Laufe des Gesprächs doch, dass das Verhalten Älterer nicht immer in Ordnung ist und deshalb auch nicht immer nachgeahmt werden darf.
Die Kinder versprachen, Nele nicht zu ärgern, wenn sie nächste Woche wiederkam. Ob sie ihr Versprechen halten würden, stand auf einem anderen Blatt, aber Helga konnte sie dann ja an dieses Gespräch erinnern. Als endlich alle wieder so saßen, wie sie es gewohnt waren, waren die ersten beiden Stunden fast rum. Noch ein paar Kopfrechenaufgaben, und dann erklang schon das Pausenzeichen.
Als Helga ins Lehrerzimmer kam, war die Diskussion, ob Andrea als Täterin in Betracht kam oder eher nicht, in vollem Gange. Inzwischen hatte sich auch eine überregionale Tageszeitung der Sache angenommen. Für die Presse stand es längst fest, dass die Lehrerin den Arzt ins Jenseits befördert hatte. Hintergründe interessierten nicht. Hauptsache, aus der Zeitung floss das Blut.
„Nun regt euch doch nicht so auf«, beruhigte Volker Reiser das empörte Kollegium. „Ihr kennt doch den Spruch: Mann dreht Frau durch den Fleischwolf, unser Blatt bringt das Interview mit den Buletten. Was habt ihr denn erwartet? Lehrer und Ärzte sind immer gut, um das Interesse der Öffentlichkeit zu erregen.« Er lehnte sich zurück, biss in sein Vollkornbrot und schien entschlossen, sich auf Kosten seiner Kolleginnen zu unterhalten.
„Aber selbst wenn sie es getan hat ...« Aufgeregtes Durcheinander unterbrach Linda.
„Wenn sie es getan hat? Das ist völlig ausgeschlossen. Wir kennen sie doch. Sie war total verliebt.«
„Du behauptest, wir kennen sie. Das ist falsch! Wir kennen sie nicht. Was wissen wir denn schon von ihr, außer dass sie heiraten wollte? Kennt einer ihre Freunde? Ihre Eltern? Weiß einer, was sie bewegt hat, außerhalb der Schule? Nein! Nichts wissen wir, gar nichts.« Triumphierend schaute Linda in die Runde. Sie lehnte am Kühlschrank, beide Hände umfassten die Kaffeetasse. Ihr Mund verzog sich zu einem spöttischen Lächeln, als sie das betretene Schweigen der anderen bemerkte. Schließlich hatte sie nicht Unrecht. Sie wussten tatsächlich nur wenig voneinander. Aber das, was sie wussten, schloss Andreas Täterschaft aus. Und das sagte Helga auch, laut und deutlich.
„Nein!«, beharrte Linda auf ihrem Standpunkt. „Muss ich euch daran erinnern, welch seltsame Dinge sich in einem Menschen abspielen können, ohne dass die Außenwelt auch nur das Geringste ahnt?«
„Um Himmels Willen halt die Klappe«, fauchte Elli. „Es ist schon schlimm genug, dass wieder unsere Schule betroffen ist, aber nun wärm nicht die ollen Kamellen auf!«
„Quatsch!« Linda wurde lauter. „So einfach kannst du das nicht abtun. Wir sollten uns hüten, uns auf Andreas Unschuld festzulegen. Vor allem den Reportern gegenüber.«
„Richtig! Also ist es besser den Mund zu halten«, stimmte Angela Steinhofer zu. „Je weniger über die Sache geredet wird, um so besser.«
„Was machen wir mit dem Geschenk?«, fragte Frau Stellmann und schob nervös einen Stapel Hefte von der linken auf die rechte Seite.
„Ja, also ...« Darüber hatten die meisten noch gar nicht nachgedacht. Das Gespräch wandte sich nun den praktischen Gegebenheiten zu.
„Wir brauchen einen langfristigen Vertretungsplan. Kannst du mal mit rüberkommen?«, bat die Konrektorin Helga. Die nickte und griff nach ihrer Kaffeetasse.
Vor dem großen Gesamtstundenplan in Raesfelds Zimmer blieben sie stehen. „Du könntest den Hauptteil des Unterrichts übernehmen, wenn wir dich hier, hier und hier rausziehen«, erklärte Elli und zeigte auf die Stunden, die Helga in anderen Klassen unterrichtete. „Dann müssen eben die Religionsgruppen zusammengelegt werden und Kunst, Musik und Förderunterricht ausfallen.«
„Weißt du, für wie lange?«
Elli starrte Helga an. „Das musst du deinen Polizisten fragen. Wenn sie Andrea tatsächlich verhaften und anklagen, kann es für sehr lange sein.«
„Entschuldige.« Das war wirklich eine blöde Frage gewesen. Solange Andrea im Krankenhaus lag, gab es keinen Ersatz für sie. Wurde sie angeklagt und verurteilt, würde das Schulamt jemanden schicken – falls es noch Geld für eine zusätzliche Lehrkraft gab.
„Wer übernimmt die Klassenführung?«
„Du!«
„Was? Das kannst du mir nicht antun.«
„Wer sonst? Es gibt keine andere Möglichkeit.«
„Höchstens bis zu den Herbstferien. Ich kann nicht für zwei Klassen
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