Renner & Kersting 02 - Mordswut
In einer etwas abgetrennten Ecke stand der Schreibtisch mit Computer zwischen vollgestopften Regalen. Anscheinend ihr Arbeitsplatz.
„Aber bitte, setzen Sie sich doch«, rief Anja, die mit dem Kind an der Hand aus dem Nebenzimmer kam. Als Kersting der Aufforderung folgte, wusste sie, dass er bleiben würde. „Darf ich Ihnen einen Cognac anbieten auf den Schrecken? Maylinn, holst du dir bitte Saft aus der Küche?«
Ohne auf eine Antwort zu warten, nahm sie die bauchige Flasche aus der Vitrine und goss zwei Schwenker voll. „Tut mir Leid, dass Sie sich vergeblich bemüht haben, aber ich hatte wirklich Angst.«
„Das ist doch ganz natürlich«, beruhigte er sie. „Ich bleibe gern noch einen Moment, wenn ich vorher eben meinen Kollegen anrufen darf.«
„Bitte.« Taktvoll verschwand sie in der Küche, während er Masowski informierte. Der gab sich wortkarg. „Wir sehen uns am Montag.« Morgen war Samstag und dienstfrei.
Die kleine Maylinn kam, mit beiden Händen ein großes Glas haltend. „Ich soll gucken, ob du fertig bist mit telefonieren.«
Kersting lachte. „Sag deiner Mama, sie darf wiederkommen.«
Mit vor Verlegenheit rotem Kopf kam Anja herein. „Danke, ich danke Ihnen sehr, dass ... dass Sie noch etwas Zeit haben.« Sie warf einen Blick auf die Uhr. „Hätten Sie nicht längst Dienstschluss?«
Er schüttelte den Kopf. „So pünktlich können wir selten Feierabend machen. Vor allem, wenn ein Fall noch nicht abgeschlossen ist.«
„Und Josefs Fall ist noch nicht abgeschlossen? Das heißt, Sie suchen noch nach dem wirklichen Täter. Das ist gut.«
Nein, das war nun wirklich der falsche Zeitpunkt, ihr zu erklären, dass der Fall abgeschlossen war und er nur blieb, weil er sie interessant fand, weil ihm ihre Tochter gefiel und weil er einen Grund suchte, Helga nicht anrufen zu müssen. Sie wusste, dass, wenn er sich nicht meldete, er dienstlich unterwegs war. Und das war jetzt auch der Fall. Oder doch nicht? Schluss mit diesen zermürbenden Gedanken, befahl er sich selbst. Er hatte Frau Better zu beschützen, nichts sonst.
Sie saß mit übereinander geschlagenen Beinen in einem Sessel ihm gegenüber, das Kind spielte auf dem Boden mit mehreren Puppen. „Willst du nicht in dein Zimmer gehen? Da hast du viel mehr Platz«, versuchte die Mutter sie zu überreden. Doch Maylinn besaß ihren eigenen Willen. Stumm schüttelte sie den Kopf und spielte weiter.
„Lassen Sie sie doch, sie stört nicht«, meinte Kersting und beobachtete die Kleine, wie sie in ihr Spiel versunken, ihre Puppen fütterte. Ihre Anwesenheit gewährte eine gewisse Sicherheit. So wie Anja den Polizisten ansah, wusste dieser nicht, wie lange er höfliche Distanz würde wahren können. Sie wirkte so klein und zart, so schutzbedürftig. Am liebsten hätte er sie in die Arme genommen und tröstende Worte in ihr Ohr geflüstert.
„Ich wünschte, Sie hätten den Täter«, sagte sie gerade. „Erst dann werde ich mich wieder sicher fühlen. Ich will in kein Hotel. Für Maylinn wäre das eine große Umstellung, für mich eine Art Kapitulation. Außerdem«, mit dem Kopf wies sie auf den Schreibtisch, „brauche ich meinen Arbeitsplatz. Dazu kommt noch, dass ich finanziell etwas knapp bin. Ich weiß nicht, ob ich Josef beerben werde. Vielleicht hat er schon alles Andrea vermacht oder diversen Hilfsorganisationen. Keine Ahnung.« Wieder hob sie anmutig die Schultern.
Kersting genoss den Anblick, den Mutter und Tochter boten.
16
Freitagmittag und Wochenende. Helga atmete erleichtert auf, als sich die Schultür mit leisem Knall hinter ihr schloss. Aber dann fiel ihr ein, wo sie und die Kollegen eigentlich hätten sein sollen: Vor der Johanniskirche, Spalier stehen und Andrea zur Hochzeit gratulieren. Ihre Erleichterung schlug um in Wehmut. Wie es Andrea wohl ging? Vielleicht sollte sie nachher einmal im Krankenhaus anrufen und fragen, ob sie Besuch empfangen dürfe. Unlustig warf sie ihre Schultasche auf den Rücksitz ihres kleinen Autos. So froh sie war, die Schule zwei Tage nicht zu sehen, so wenig freute sie sich auf ihre leere Wohnung. Was tun? Sie beschloss, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden und einen Spaziergang durch den Westpark zu machen. An der frischen Luft konnte sie ihre Gedanken besser ordnen als daheim am Schreibtisch. Wer weiß, wie lange die schönen Tage des Altweibersommers noch anhielten. Immer mehr Blätter sammelten sich auf der großen Wiese und den Gehwegen. Es fiel ihr schwer, Ordnung in ihre
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