Renner & Kersting 02 - Mordswut
das In-Rente-gehen aus?«, fragte Klaus ahnungsvoll.
„Entweder sucht sie sich eine kleine Wohnung oder wir kümmern uns um einen Platz im Altenheim. Wir brauchen das Zimmer für die Nachfolgerin.«
„Das ... das kann doch nicht dein Ernst sein?« Erschrocken starrte Klaus seinen Vater an. „Käthe hat dreißig Jahre ihres Lebens hier verbracht. Außer uns hat sie keine Familie und keine Freunde. Und du willst sie ins Altenheim abschieben?«
Bevor sein Vater antworten konnte, mischte sich die junge Frau energisch ein. „Sie hat einen geruhsamen Lebensabend ohne Arbeit verdient. Dein Vater hat alle Sozialabgaben für sie bezahlt, so dass sie schon seit ein paar Jahren ihre Rente erhält. Warum also regst du dich auf?«
Hübsch war sie, die Frau seines Vaters. Die leichte Röte, die jetzt ihre Wangen überzog, stand ihr gut. Aber es fehlte jene Ausstrahlung, die attraktiv macht. Im Vergleich zu Helga wirkte sie fad. Wieder überkam ihn das schlechte Gewissen. Heute Morgen hatte er versucht, Helga zu erreichen und war erleichtert gewesen, als sie sich nicht meldete. Gewaltsam verbannte er sie in eine entfernte Ecke seines Gehirns. Die Konzentration auf das derzeitige Gespräch erschien ihm ungleich wichtiger. Demonstrativ wandte er sich an seinen Vater: „Du willst die Frau, die dir so viele Jahre treu ergeben war, niemals Urlaub verlangt hat, die abends und an den Wochenenden für dich da war, so mir nichts dir nichts hinauswerfen, beziehungsweise in ein Altenheim abschieben?« Bis auf eine Gelegenheit hatte er sich stets seinem Vater gefügt oder war ihm aus dem Weg gegangen. Er wusste, dass sein alter Herr als guter Psychologe mit der Zustimmung seiner Freunde rechnen konnte. Niemand ahnte, dass zwischen Vater und Sohn Sprachlosigkeit und Unverständnis herrschten. Lange Zeit hatte Klaus darunter gelitten und bedauert, dass er die Gleichgültigkeit, zu der sein Verstand ihm riet, nicht zu empfinden vermochte. Selbst als erwachsener Mann hatte er sich die Anerkennung seines Vaters gewünscht – und nicht erhalten. Erst die Gespräche mit Helga und vor allem die Ehe seines Vaters mit dieser Frau hatten das letzte Band zerschnitten. Nun endlich schaffte er es, seine Meinung laut und deutlich zu äußern.
„Du benimmst dich schofel, bist undankbar und geizig. Das Haus ist groß genug, um ihr das kleine Zimmer zu lassen. Glaubst du, dass deine Freunde dich nicht durchschauen werden?«
Das war so ziemlich das stärkste Geschütz, das er auffahren konnte. Die Meinung der Öffentlichkeit war dem bekannten Verfasser vieler Bücher über Kinderpsychologie wichtig. Klaus spürte mehr als er sah, wie es hinter der Stirn des alten Herrn arbeitete. Schon glaubte er die Schlacht gewonnen, da mischte die Frau sich ein. Er brachte es nicht fertig, von ihr als von seiner Stiefmutter zu denken, sie war immerhin sechs Jahre jünger, und Hannah mochte er sie auch nicht nennen. Vermutlich ging es ihr sowieso nur um Geld und Renommee. Den meisten Männern kam es in zunehmendem Alter auch mehr auf das Aussehen als den Intellekt einer Frau an. Sein Vater schien da keine Ausnahme zu bilden.
„Albert, Liebling, ich denke, wir sollten deinem Sohn endlich sagen, was los ist.«
Die Kälte, die sich zwischen seinen Schultern ausbreitete, war ein untrügliches Zeichen für schlechte Nachrichten. Alarmiert blickte er von einem zum anderen. Sein Vater grinste selbstgefällig, Hannah lächelte siegesgewiss. „Ich bin schwanger. Du wirst einen Bruder bekommen.«
„Nein!« Der Ausruf entfuhr ihm so spontan, dass er ihn nicht zurückhalten konnte. Das durfte nicht wahr sein! Dieses dumme Gör, mehr war sie in seinen Augen nicht, schenkte dem alten Mann noch ein Kind. Und er, der verzweifelt hoffte, bald Vater zu werden, schaffte es nicht, weil er sich nicht von der Frau trennen mochte, die er liebte. Das war so verdammt unfair! Aber wer sagte, dass das Leben fair sein musste?
„Dann gratuliere ich!« Ihm war der Appetit gründlich vergangen. Er trank den letzten Schluck Kaffee aus, schob den unbenutzten Kuchenteller von sich und stand auf. „Jetzt werdet ihr mich entschuldigen. Bevor ich gehe, möchte ich kurz bei Käthe reinschauen. Ich mag sie nämlich.« Eine leichte Betonung lag auf dem ›Ich‹. Er nickte beiden kurz zu und ging hinaus. Draußen auf dem Flur spürte er sein Herz klopfen, und dumpfer Schmerz zog an den Schläfen hoch. Über den Altersunterschied zwischen ihm und seinem Halbbruder durfte er gar nicht nachdenken.
Weitere Kostenlose Bücher