Renner & Kersting 02 - Mordswut
und für die Männer war es selbstverständlich, dass sie einen Urlaubsort am Strand auswählten. Sigrid Wigoreit hatte Ali schon mehrfach ihr Leid geklagt. Da hatten sie es endlich geschafft, die Männer zu einer so weiten Reise zu überreden – und was wollten die? Am Strand liegen. Und erwarteten tatsächlich noch Bewunderung und Dankbarkeit für ihre großartige Planung. Dass es in dem Land unzählige Sehenswürdigkeiten gab, interessierte sie nicht. Ali überlegte sich Strategien, um sowohl Helgas als auch Sigrids Wünsche heute Abend unter einen Hut zu bekommen.
Sollte sie die Frühlingsrollen nun vor oder nach der Suppe reichen? Während dieser tiefsinnigen Überlegung hörte sie ihren Mann und die Kinder im Vorgarten lärmen.
Drei Stunden später. Der Tisch war abgedeckt. Gastgeber und Gäste räkelten sich satt und zufrieden in den Sesseln. Zwischen Weinflaschen und Thai-Snacks lagen Helgas Fotos auf dem Tisch. So halb und halb hatten die Männer die Wünsche der Frauen akzeptiert und drei Tagen Bangkok zwecks Besichtigungen und Einkauf zugestimmt. Nun bemühte Ali sich, das Thema auf Bergedorfs Kompagnon Kowenius zu bringen, wozu kein besonderer Takt nötig war. Noch immer beherrschte Kowenius’ Tod die Schlagzeilen. Dass seine Verlobte und mutmaßliche Mörderin bisher nicht aussagen konnte oder wollte, machte die Sache umso rätselhafter.
„Sag mal Walter, stimmt das eigentlich, was da heute Morgen in der Rundschau stand, dass es auch unter Ärzten großen Futterneid gibt?« Herbert hatte Ali die Mühe abgenommen.
„Blödsinn! Die müssen sehen, dass sie ihr Blättchen voll kriegen. Und da es von der Front nichts Neues zu berichten gibt, saugen sie sich halt was aus den Fingern.«
„Nun«, insistierte Helga, „mir hat ein Arzt mal genau das Gleiche erzählt. Er war stocksauer, dass er genau so viele Notdienste machen musste wie seine Kollegen, obwohl er fast doppelt so viele Patienten behandelte. Doch darauf nahmen besagte Kollegen keinerlei Rücksicht.«
„Nein, nein, hier in Hagen ist das anders. Natürlich, Neider gibt es in jedem Beruf. Aber das sollte man nicht überbewerten. – Zwischen Josef und mir gab es jedenfalls keine Probleme«, fügte er schnell hinzu.
„Wie läuft das eigentlich in so einer Gemeinschaftspraxis? Hat jeder seine eigenen Patienten, oder behandelt jeder jeden?«, fragte Helga und beugte sich vor, um sich mit scharf gewürzten Chips zu bedienen.
„Das hängt von den Patienten ab. Den meisten ist es lieber, immer von demselben Arzt behandelt zu werden. Aber es gibt auch einige wenige, denen es egal ist, zu wem sie gehen. Das sind die, die sowieso nur selten kommen.«
„Und wer hatte mehr?«, fuhr Ali vorlaut dazwischen. „Entschuldigung, das sollte ich wohl besser nicht fragen. Sonst fühlt sich hier noch jemand verdächtigt.« Das klang jedoch mehr nach Herausforderung als nach Entschuldigung.
Walter Bergedorfs Kugelkopf lief rot an. Doch bevor er noch ein Wort herausbekam, legte seine Frau ihm besänftigend die Hand auf den Arm. „Aber Schatz, schau nicht so böse. Sonst denkt tatsächlich noch jemand, du hättest etwas zu verheimlichen. Dass du der bessere Arzt bist, weiß jeder, der euch beide kennt, äh kannte.«
„Nun, zumindest Ihre Sprechstundenhilfen wissen es und nehmen in der Beziehung kein Blatt vor den Mund«, ergänzte Helga, um dann fortzufahren: „Als ich neulich mal bei Ihrem Kollegen war, kam eine Frau aus seiner Praxis und schimpfte ganz furchtbar auf ihn. Umbringen wollte sie ihn, hat sie gesagt.«
„So? Davon habe ich nichts mitbekommen. Wenn ich in meinem Behandlungsraum bin, höre ich nicht was im Wartezimmer geredet wird. Und mehr als dummes Gerede war es sicher nicht«, sagte Bergedorf sehr deutlich und sehr laut.
„Was meinen Sie, aus welchem Grund eine Patientin so furchtbar böse wird? Immerhin ... Kowenius ist tot«, assistierte Ali.
„Woher soll ich das wissen? Ich bin noch nie so bedroht worden.«
Offensichtlich wollte er nicht mit der Sprache herausrücken. Dass er etwas wusste, deutete sein zielloser Blick an, der vergeblich nach einem Fixpunkt suchte.
„Ihr Kollege scheint ein wenig ein Blender gewesen zu sein?« Helga ließ den Satz fragend in der Luft hängen. Ihre vorsichtige Ausdrucksweise sowie das aufmunternde Lächeln seiner Frau schienen Doktor Bergedorf zu besänftigen. Zögerlich verzog er seine Miene zu etwas, das einem Grinsen ziemlich nahe kam.
„Hm, ja«, plauderte er nun doch aus dem
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