Renner & Kersting 02 - Mordswut
erwachte Kersting nach einer schlaflosen Nacht voller Alpträume. Immer wieder hatten sich ihm Frauen zugewendet, ein Kind in den Armen gehalten und sich dann in Nichts aufgelöst. Blut und Körperteile schwammen vor seinen Augen, mitten drin ein pausbäckiger Säugling. Doch jedes Mal, wenn er ihn greifen wollte, wurde er fort geschwemmt.
Er hätte es vorgezogen, heute zum Dienst zu gehen. Dies schien einer jener Tage zu werden, an denen er sich selbst nicht ausstehen konnte. Bisher war Helga die einzige gewesen, die ihn an solchen Tagen nicht bloß zu ertragen, sondern sogar aufzuheitern vermochte. Aber heute wollte er sie nicht sehen. Schließlich trug sie einen nicht geringen Teil an Mitschuld. Er, der längst selbst hätte Vater sein können, würde einen Bruder bekommen. Der Gedanke schmerzte mehr, als er für möglich gehalten hatte. Nicht einmal die eiskalte Dusche half. Nass und frierend stand er im Badezimmer, doch die Gedanken drehten sich weiter. Was sollte er, was konnte er tun? Kaum tauchte die Frage in seinem Hirn auf, wusste er auch schon die Antwort. Anja. Sie besaß eine entzückende Tochter. Sie war schön und intelligent. Warum sollte er sich nicht in sie verlieben? Wenn nicht sofort, dann vielleicht in ein paar Wochen oder Monaten. Was war Liebe anderes als ein Aufwallen der Hormone! Helga würde einen neuen Freund finden. Für Frauen schien der Wechsel sowieso leichter. Das erlebte er in seinem Beruf tagtäglich. Plötzlich verschwand die Liebe, und sie wandten sich einem anderen zu. Welch katastrophale Folgen dieses Verhalten haben konnte, bekamen vor allem Polizisten zu spüren. Nicht wenige Morde geschahen aus falsch verstandenen, erkalteten oder zu heißen Gefühlen. Und meist waren es die Frauen, die von einem zum anderen flogen. Dass Helga anders war, sich nicht schnell verliebte, für ihn sehr tiefe Gefühle hegte, diese Gedanken ließ er nicht an die Oberfläche seines Bewusstseins gelangen. Stattdessen konzentrierte er sich auf Anja. Sollte er sie anrufen? Er könnte sich nach etwaigen Geräuschen oder Beobachtungen erkundigen. So wie sie ihn angesehen hatte, hätte sie vermutlich nichts dagegen, wenn er vorbei kommen und nach dem Rechten schauen würde.
Mit einem leisen Lächeln legte Anja Better den Telefonhörer hin. Anscheinend hatte der Kommissar angebissen, wobei sie nicht ganz sicher war, ob sein Interesse mehr ihr oder der Tochter galt. Als er Maylinn am Freitag zu Bett brachte, hatte er es wie ein liebevoller Vater getan. Dass er Kinder mochte, sah man auf den ersten Blick. Und Maylinn brauchte einen Vater, überlegte sie. Heinzchen war ein netter Kerl, gut für Sex und Unterhaltung, aber kein Vater für Maylinn. Andererseits schien ihr der Polizist zu ernst und konservativ. Für ihn war es selbstverständlich gewesen, auf dem Sofa zu nächtigen. Er hatte nicht einmal eine Andeutung gemacht, dass man ja auch gemeinsam ... Während Heinzchen ... Meine Güte, das erste Mal mit ihm war ein einzigartiges Erlebnis gewesen, in jeder Beziehung. Sie hatten einen Spaziergang im Wald gemacht, noch hinter Breckerfeld. Er kannte da ein lauschiges Plätzchen, weitab von allen Spazierwegen. Ihr kam es vor, als wären sie stundenlang durch Unterholz gekrochen. Und dann trafen sie auf diese Lichtung mit weichem grünem Moos, die Sonnenstrahlen fielen schräg durch die Bäume. Er hatte aus einer Tasche einen Piccolo und zwei zusammenschiebbare Becher geholt, eigens für diesen Zweck auf dem Flohmarkt gekauft, wie er betonte. Während sie noch voller Vorfreude den perlenden Sekt aus zerkratzten Plastikbechern genoss, konnte er nicht schnell genug aus der Hose kommen, die zerknüllt im Gras landete. Anja entkleidete er langsamer. Genießerisch öffnete er Knopf für Knopf ihre Bluse, tropfte zwischendurch ein wenig Sekt auf ihren Busen, um ihn schmatzend aufzulecken, und arbeitete sich auf diese Weise bis zum Slip vor, den er wie eine Trophäe an einen Busch hängte. Als sie beide im Moos lagen, war er gleichzeitig wild und liebevoll gewesen. Nicht einmal ihr Mann, Maylinns Vater, hatte sie derart zu erregen vermocht. Und endlich, als sie schon geglaubt hatte, alles sei vorbei, da hatte der Kerl doch tatsächlich ein paar Silvesterknaller aus der Jackentasche geholt und Sterne in den Himmel geschossen, damit sie dieses erste Mal mit ihm nie vergessen würde. Verrückter Kerl! Bis sie den Wald verlassen hatten, zitterte sie vor einer Begegnung mit dem Förster. Nein, so etwas würde Kersting
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