Renner & Kersting 03 - Mordsgier
Sparkasse heran, die jedoch keinen Blick ins Innere zuließen. Trotzdem blieb sie stehen und studierte die Reklametafeln mit den scheinbar günstigen Kreditbedingungen. Zuerst erschien die alte Dame, kurze Zeit später der Mann, der die Zils so überschwänglich begrüßt hatte. Ali folgte ihm vorsichtig. Er hielt sich sehr gerade, schritt schnell aus und schien für sein Alter recht rüstig zu sein. Er ging Richtung Innenstadt. Sie ließ den Abstand größer werden. In ihrem Kopf stritten wieder einmal Vernunft und Gefühl. Vielleicht war die ganze Verfolgung nur ein blöder Einfall, geboren aus dem Drang nach Ablenkung? Oder schlichte Neugier? Was ging es sie schließlich an, wenn die Zils einen alten Verehrer hatte? Vergeblich versuchte sie, mögliche Argumente für eine Verfolgung zu finden. Doch das Chaos in ihrem Kopf ließ sich mal wieder nicht abstellen. Sie fand es unfair vom Schicksal, ihr diese Steine in den Weg zu legen, nachdem sie sich so oft für die sozial Benachteiligten engagiert und soviel für die Gesellschaft getan hatte. Unbewusst seufzte sie. Es gab eben keine Garantie, dass gute Menschen ein leichteres Leben führen durften. Im Gegenteil! Wieder einmal musste sie an ihre Freundin denken, die sich so sehr für den Kinderschutzbund eingesetzt hatte, und mit fünfunddreißig an Brustkrebs gestorben war. Wo blieb da die Gerechtigkeit? Und der Pfarrer, von dem sie Trost erwartete, hatte nur hilflos dagestanden.
Mist, fast hätte sie den Mann aus den Augen verloren. Sie sollte besser aufpassen statt unnützen Gedanken nachzuhängen. An diesem Nachmittag war die Fußgängerzone voller Menschen. Alle hatten es eilig, zwängten sich durch Gruppen hindurch, drängten vorwärts, rempelten einander an. Sie bemühte sich dicht hinter ihm zu bleiben, gleichgültig, ob er sie bemerken würde oder nicht. Es begann zu nieseln. An alles Mögliche hatte Ali gedacht, aber nicht an einen Schirm. Am Bergischen Ring streifte sie kurz der Gedanke an Aufgabe, dort bestand die Möglichkeit, den nächsten Bus zu nehmen. Doch die Neugier siegte, außerdem war sie bereits so nass, dass es auf ein bisschen mehr auch nicht ankam. Sie folgte dem Mann in die Frankfurter Straße bis Fischer-Buserath, eines der wenigen Cafés, die es in der Innenstadt noch gab. Ali wartete einen Moment, dann betrat auch sie die Konditorei. Er saß im hinteren Bereich, hatte anscheinend die Schlagzeilen der Zeitung überflogen und faltete sie nun wieder zusammen. Ali wählte einen freien Tisch ganz in der Nähe. Unauffällig musterte sie ihn, und ihr gefiel, was sie sah. Volles, weißes Haar über einem schmalen Gesicht mit leicht gebräuntem Teint. Ein Mann, der auf gepflegtes Aussehen achtete. Sein Alter vermochte sie nur schwer zu schätzen. Er wirkte wie Mitte fünfzig, war aber wahrscheinlich älter. Er scherzte mit der Kellnerin, lobte ihre neue Frisur und sah sich aufmerksam um. Ihre Blicke trafen sich, und Ali konnte nicht beurteilen, ob er sie erkannte oder ob bloße Neugier aus ihm sprach. Sie bestellte ebenfalls Kaffee mit einem großen Stück Himbeertorte. Nervennahrung. Warum nur war alles so kompliziert geworden? Die Kinder gingen auf Distanz, Herbert sprach von Scheidung und Helga, eigentlich eine gute Freundin, machte ihr Vorwürfe. Geistesabwesend steckte sie sich eine Zigarette an. Sie fühlte einen dicken Kloß im Hals. Wer garantierte ihr, dass ihr Leben besser wurde, wenn sie in die Scheidung einwilligte? Niemand. Selbst Herbert konnte nicht sicher sein, dass sein Leben mit Gerlinde sich angenehmer gestaltete als mit ihr. Und Gerlinde? Sie musste davon ausgehen, dass Herbert zumindest seine Kinder regelmäßig würde sehen wollen, dass ein Teil seines Geldes für Unterhaltszahlungen drauf ging, dass der Alltag längst nicht so angenehm verlaufen würde, wie die gelegentlichen Treffs. Das sagte der Verstand. Aber Gefühle ließen sich nicht steuern. Sie folgten ihren eigenen Gesetzen, kamen und gingen, ohne zu fragen, zerstörten und verletzten rücksichtslos. Und besaßen eine unglaubliche Macht. Vor langer Zeit einmal hatte sie Helga zugestimmt, die der Meinung war, man dürfe mit Gefühlen nicht alles entschuldigen. Die Lehrerin hatte damals an die vielen wechselnden Pseudo-Väter ihrer Schüler gedacht und von den Frauen Vernunft und gesunden Menschenverstand gefordert. Viele Mütter hatten sie um Rat gebeten, nicht nur in Bezug auf ihre Kinder. Doch beherzigt wurden ihre Ratschläge nicht. Ali erinnerte sich gut, wie
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