Renner & Kersting 03 - Mordsgier
Klaus sich bequemte, das Bett zu verlassen. Gemeinsam bereiteten sie ein englisches Frühstück mit Corn Flakes, gebratenem Schinken, Würsten und Rühreiern. Anschließend fuhren sie zum Waldrand, wo sie den letzten freien Parkplatz erwischten. Arm in Arm wanderten sie die Stadtgartenallee entlang, am Wildgehege vorbei und durch den Stadtwald. Vereinzelt fielen weiße Flocken. Helga, die weder Hut noch Mütze mochte, lachte, als Klaus ihr eine nasse Strähne aus dem Gesicht strich. Die Wege waren dort, wo regelmäßig die Sonne hinkam, aufgeweicht und matschig, an anderen Stellen gefroren und glatt. Der in Hagen eher seltene Anblick der schneebedeckten Bäume entschädigte für jedes Ungemach. Ab und zu glitzerten die weißen Kristalle in den Strahlen der blassgelben Wintersonne. Sie gingen schweigend, ihre Zweisamkeit mit allen Sinnen genießend. Helga lächelte. Sie war glücklich und hätte endlos weiter wandern können.
14
Am späten Nachmittag war sie wieder allein. Klaus hatte sie nach dem Spaziergang verlassen, weil er Käthe besuchen und anschließend daheim ein wenig Ordnung schaffen wollte. Für sie war der Sonntagnachmittag sowieso Arbeitstag. Ohne ständige Kontrolle und Sanktionen würden die meisten ihrer Schüler sämtliche Aufgaben vergessen. Immer wieder seufzte sie entnervt auf, wenn sie falsch geschriebene Worte anstrich, die seit Tagen geübt worden waren. Viel zu viele Kinder besaßen ihrer Meinung nach ein Gedächtnis wie ein an Alzheimer erkrankter Achtzigjähriger. Fast war sie froh, als die melodischen Töne des Telefons ihren Ärger unterbrachen. Zu ihrem Erstaunen hörte sie Anna Pawalek schluchzen: »Gut, dass du endlich da bist. Entschuldige, dass ich dich anrufe, aber ich weiß nicht, mit wem ich sonst reden könnte. Weißt du, ich mache mir Sorgen wegen Dieter. Er ist vom Spaziergang noch nicht zurückgekommen. Er geht immer um den Hengsteysee. Und ich wollte mit meiner kaputten Schulter heute nicht mit, darum ist er allein ... ich habe Angst, weil manche Stellen doch glatt sein können und heute Mittag hat es noch geschneit ... und deshalb habe ich dann bei der Polizei angerufen ... und die haben versprochen, am See zu schauen. Aber sie haben sich nicht gemeldet. Entschuldige, das ist wohl alles etwas wirr, es ist nur ... ich muss einfach darüber reden und die anderen Freunde, die waren bei dem Autounfall dabei und deswegen will ich nicht ... Ich habe Angst, Helga, ich glaube, da ist was Schlimmes passiert, man hört doch soviel von Überfällen. Ich weiß, Dieter ist nicht verwirrt und auch nicht alt, und er kennt den Weg. Er geht fast jeden Tag da lang. Und er freute sich so über den Schnee.«
Ein lautes Weinen, dann wurde aufgelegt. Helga blickte zu dem Stapel Hefte hinüber, der auf Korrektur wartete. Was tun? Eine Kollegin, die offensichtlich Hilfe brauchte, durfte sie nicht im Stich lassen. Sie schlug die genaue Adresse im Telefonbuch nach und fuhr los.
In der Hengsteyer Straße sah sie schon von Weitem das Polizeiauto am Straßenrand stehen und spürte, wie sich eine unangenehme Kälte in ihr ausbreitete. Es dauerte lange bis auf ihr energisches Klingeln hin geöffnet wurde. Sie kannte den schlanken, dunkelhaarigen Mann, der da in der Tür stand. Seine Anwesenheit konnte nur das Schlimmste bedeuten. Jürgen Masowski war ein Kollege ihres Freundes. Klaus hatte ihn ihr einmal vorgestellt, und sie hatten schon häufiger am Telefon miteinander gesprochen. Er starrte sie genauso überrascht an wie sie ihn. »Nanu, Frau Renner, wie kommen Sie hierher?«
»Anna, Frau Pawalek, hat mich angerufen. Was ist los? Wurde ihr Mann etwa ...?« Sie sprach das Furchtbare nicht aus.
»Nein, nein. Kommen Sie erst einmal rein.« Er trat zur Seite, um ihr Platz zu machen. »Frau Pawalek ist verständlicherweise sehr erregt. Sie hat gerade eine Beruhigungsspritze bekommen.« Das erklärte nicht seine Anwesenheit. Aus einem Raum rechts der Diele hörte sie mehrere Stimmen. Masowski bemerkte die Angst in ihren Augen und suchte sie zu beruhigen. »Ihnen muss ich doch nicht erklären, dass wir bei jedem nicht eindeutigen Todesfall zuständig sind. Und noch wissen wir nichts Genaues.« Das klang profimäßig beruhigend. Sie kannte seine Art, um den heißen Brei herumzureden bis er abgekühlt war. Deswegen fragte sie ungeduldig: »Also ist ihr Mann tot! Wie ist es passiert? Und hören Sie auf, mich schonen zu wollen. Frau Pawalek ist eine frühere Kollegin und gute Bekannte von mir. Ihren Mann
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