Renner & Kersting 03 - Mordsgier
behaupteten dies zumindest, und da Helga sie eingesammelt und nicht zurückgegeben hatte ... Verdammt! Im Gymnasium konnte sie ja nicht so einfach kopieren wie in ihrer Grundschule. Da musste alles vorher angemeldet werden. Natürlich könnte sie morgen früh den Hausmeister aufsuchen und kleine Brötchen backen. Aber gefallen tat ihr die Idee nicht. Blieb nur ein Copyshop. Sie bezweifelte, dass sie um 7.30 Uhr einen geöffneten finden würde. Entweder musste sie die Hefte unkorrigiert zurückgeben oder sich an die Arbeit machen. Sie wollte weder das eine noch das andere. Angestrengt suchte sie nach einer Lösung. Natürlich, sie könnte Angela anrufen. Angela Steinhofers Klasse war an der Hauptschule untergebracht, und da würde man sich mit dem Kopieren hoffentlich nicht so anstellen. Außerdem hatte die Kollegin sich stets hilfsbereit gezeigt. Nach einem resignierten Blick auf die Uhr griff sie zum Hörer und schilderte der Kollegin ihre Nöte. Ein kurzes Geplänkel über ihre derzeitigen Gastgeber, dann sagte Angela zu.
»Kein Problem. Wir treffen uns um 7.30 Uhr vor der Schultür. Ich besitze einen Schlüssel. Dann kopieren wir deine Sachen und du kommst rechtzeitig zum Unterricht.«
Erleichterung durchflutete Helga. Sie bereitete sich noch einen Grog und ging zu Bett, nicht ohne den Wecker dreißig Minuten früher zu stellen.
15
Am nächsten Morgen fluchte sie, als das unbarmherzige Schrillen sie aus dem Bett warf. Wochentags gehörte sie zu den Morgenmuffeln. Trotzdem stand sie pünktlich vor der Tür der Hauptschule und wartete auf Angela. Selbst jetzt, dreißig Minuten vor Unterrichtsbeginn standen schon Schüler in der Kälte und zitterten in viel zu dünnen Jacken. Angela erschien pünktlich. Während die Kopien in den Auffangbehälter rutschten, erzählten sie einander die letzten Neuigkeiten. Auch für die Gäste der Hauptschule war das Unterrichten nicht einfach. Es gab Probleme mit der Turnhallenbenutzung, Streitereien zwischen den Schülern, die sich einen Schulhof teilen mussten, Ärger mit dem Hausmeister, dem die Kleinen die Klassen nicht sauber genug fegten, »... und so weiter und so weiter!«, lachte Angela mit Galgenhumor. »Ich hoffe nur, wir können bald zurück. Hier habe ich das Gefühl, dass für jedes bisschen Entgegenkommen Dank erwartet wird. Ich sitze mit meiner Truppe im Kunstraum und muss mir jeden zweiten Tag anhören, wie schwierig es ist, im Klassenraum Kunstunterricht zu erteilen, wo es nicht genügend Spülsteine und Tische zum Lagern der Bilder gibt. Was sollen wir denn sagen? Wir besitzen nicht einmal einen Kunstraum. Na ja«, schloss sie resigniert, als sie jemanden über den Flur eilen hörte. »Bei euch wird es nicht besser sein, oder?«
Helga schüttelte den Kopf. »Eher schlimmer. Wir Schmalspurpädagogen zählen nicht für die Herren Studienräte. Wenn es nicht auch einige wirklich nette Kolleginnen gäbe, wäre es nicht zum Aushalten. So, ich glaube, das sind alle.« Sie sammelte ihre Blätter ein. Vorsichtshalber hatte sie mehr kopiert, als sie wahrscheinlich benötigte. Aber ein paar Linienblätter konnte sie gut in Reserve haben. Nun wurde es Zeit zu fahren. Sie musste die Innenstadt durchqueren, und das gestaltete sich frühmorgens zu einer zeitraubenden Angelegenheit. Noch ein schnelles Dankeschön, dann schwirrte sie ab.
Sie schaffte es gerade noch rechtzeitig. Brigitte und Elli standen draußen und unterhielten sich. Offensichtlich hatten sie es aufgegeben, das Verhalten der Schüler zu sanktionieren. Sie wirkten beide genervt. In einer Ecke wurde geprügelt, in einer anderen flogen Taschen durch die Gegend, ein paar Jungen hatten Zweige abgebrochen und gingen damit aufeinander los. Als Helga im Vorbeigehen etwas sagte, erhielt sie die Antwort: »Alles nur Spaß.« Klar, alles war Spaß, bis die ersten Tränen flossen. An der Grenze zum Gymnasium flogen Schimpfworte hin und her, während ein paar Kinder die letzten Schneereste zusammenklaubten. Für die Lehrerinnen war es keine Frage, was sie planten.
»Na endlich!«, rief Elli. »Los, lass uns reingehen. Mir reicht’s hier draußen. Nur Geschrei und Zankerei. Guck dir Kevin an. Hundert Mal habe ich ihm gesagt, er soll das lassen. Und trotz alledem macht er weiter. Die nächste Pause verbringt er im Klassenraum. Festbinden müsste man den.« Der Junge warf gezielt Äste und Steine zu den Gymnasialschülern hinüber. »Das gibt in der Pause wieder eine Tirade von Hohlberg, wetten?« Obwohl es noch
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