Renner & Kersting 03 - Mordsgier
dagegen kannte ich nur flüchtig. Nun reden Sie schon. Morgen früh steht es sowieso in der Zeitung.«
Er seufzte. »Da haben Sie wohl recht. Also, Herr Pawalek wurde im Hengsteysee gefunden. So wie es aussieht, war es ein Unfall, vielleicht auch ...« Er stockte.
»Selbstmord?« An Schlimmeres mochte sie nicht denken.
»Einzelheiten kennen wir noch nicht. Seine Frau ist viel zu geschockt, um auf Fragen vernünftig zu antworten. Folglich müssen wir abwarten, was die Spurensicherung ergibt.« Das klang endgültig. Das Gespräch hatte im Flur stattgefunden, und Masowski drängte sie jetzt ins Wohnzimmer. Zum einen, um ihr keine Gelegenheit zu weiteren neugierigen Fragen zu geben, wie Helga vermutete, zum anderen, um Anna Pawalek zu trösten, die mit rotgeweinten Augen im Sofa saß. Der Arzt hatte sie nicht überreden können, sich ins Bett zu legen. Helga eilte zu ihr, setzte sich und zog sie in ihre Arme. »Ach Anna, es tut mir so leid. Wenn ich dir helfen kann, sag’ es mir. Magst du etwas essen oder soll ich einen Tee kochen? Der beruhigt, weißt du.« Sie wusste, sie redete dummes Zeug, aber sie wollte einfach nur, dass Anna fühlte, da war jemand, der sich kümmerte, dem sie etwas bedeutete. Schockpatienten mussten zuallererst beruhigt werden, hatte sie in diversen Kursen gelernt. Also sprach sie weiter, bis Anna sich regte und meinte: »Ein Tee wäre nicht schlecht.«
In der Küche hörte sie Masowski mit einigen Leuten sprechen. »Fremdverschulden können wir also ausschließen. Bleiben Unfall oder Selbstmord.« Helga blieb mucksmäuschenstill in der Tür stehen, um sich kein Wort entgehen zu lassen. »Ich kann mir angenehmere Selbstmordmethoden vorstellen, als bei der Kälte in den See zu gehen und tippe auf Unfall. Der Weg ist zwar breit, aber vielleicht ist er nahe ans Ufer gegangen, um sich etwas anzusehen. Dann rutschte er aus und ist ins eisige Wasser gestürzt. Die paar Büsche, die da stehen, können einen Körper nicht aufhalten. Tja, und das war zuviel für sein Herz. So jung war er schließlich auch nicht mehr.« Der Sprecher hatte nach Helgas Schätzung gerade die zwanzig überschritten. Da mochte Anfang fünfzig alt erscheinen.
»Ich spreche noch mal mit der Frau. Vielleicht gibt es Gründe für einen Suizid.« Masowski drehte sich um und sah Helga. Bevor er noch etwas sagen konnte, fragte sie, als ob sie nichts gehört hätte: »Ich werde Tee kochen. Möchte jemand eine Tasse?« Sie schüttelten unisono die Köpfe. Masowski wandte sich zum Wohnzimmer, die anderen verließen das Haus.
Während Helga in den Schränken nach Kanne und Teebeuteln suchte, lauschte sie zum Wohnzimmer hinüber. Da alle Türen offen standen, konnte sie die Fragen des Polizisten verstehen. Anna dagegen sprach so leise, dass sie nur wenig mitbekam. Doch Helga genierte sich nicht, in den Flur zu schlüpfen und sich hinter der Tür zu verbergen, sodass sie von innen nicht gesehen werden konnte. Sie wollte Anna helfen, entschuldigte sie ihr Vorgehen, und dazu musste sie genau wissen, was passiert war. Anna wollte sie nicht belästigen, schließlich hatte die bereits genug mitgemacht. Sie hörte Annas Selbstvorwürfe. »Wäre ich doch nur mitgegangen, dann wäre das nicht passiert. Ich hätte ihm doch helfen können.«
»Sagten Sie nicht, dass Ihre Schulter verletzt ist?«
»Sicher, aber sie wurde wieder eingerenkt und ich komme zurecht. Ich hätte mitgehen können. Doch er wollte nicht. Er war immer so rücksichtsvoll. Warum habe ich nur auf ihn gehört. Er könnte noch leben, wenn ich dabei gewesen wäre. Oh, mein Gott.« Die Stimme wurde leiser, ging unter im Fluss der Tränen. Helga wunderte sich, wie sanft Masowski klingen konnte. »Erzählen Sie ein wenig von Ihrem Mann. Gab es in letzter Zeit Probleme? Hatte er Beschwerden?«
»Sie meinen, ihm sei plötzlich übel geworden und er sei deshalb ausgerutscht? Vielleicht, obwohl es ihm gut ging. Er hat nicht geklagt.« Dann berichtete sie von dem Unfall in Gran Canaria. Helga verstand nicht alles, weil Anna zwischendurch immer wieder aufschluchzte. Doch dann sagte Masowski: »Also ihr Mann hat die Fahrt vorgeschlagen. Da hat er sich wohl Vorwürfe gemacht, als sie so tragisch endete.« Helga wusste, worauf der Polizist hinauswollte. Sie wartete gespannt auf Annas Antwort. Genau in dem Moment pfiff der Wasserkessel. Sie eilte zurück in die Küche und goss den Tee auf. Als sie ihren Horchposten wieder erreichte, war es zu spät. Masowski verabschiedete sich höflich
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