Renner & Kersting 03 - Mordsgier
nicht geschellt hatte, riefen sie die Kinder und gingen in ihre Klassen.
Nachdem sich einige Mädchen massiv über ihre Mitschüler beschwerten, musste Helga dann doch ein paar Takte zum Verhalten sagen.
»... Ihr wisst ganz genau, dass das Werfen mit Zweigen und Steinen verboten ist. Wenn ihr es trotzdem tut, müsst ihr die Folgen tragen. Dann bleiben eben alle in der Pause hier drin.«
»Ich habe gar nicht geworfen, der Daniel, der hat Zweige abgerissen.«
»Das stimmt. Das habe ich auch gesehen.«
»Ist gar nicht wahr! Du warst das. Du hast sogar Erde und Steine geschmissen. Und schlimme Wörter hast du auch gesagt, nicht Stefan, stimmt doch? Du bist mein Zeuge.«
Der eigentliche Unterricht hatte noch nicht begonnen, und Helga hatte schon wieder die Nase voll. Kein Kind war bereit, den Blödsinn, den es veranstaltet hatte, auch zuzugeben. Immer waren es die anderen, und immer fanden sie irgendwelche Freunde, die bereit waren, zu bezeugen, was verlangt wurde. Sie würgte die sich anbahnende Diskussion ab und wollte mit Rechtschreibaufgaben beginnen, als Florian sich meldete. »Frau Renner, der Lehrer von der anderen Schule hat gesagt, er will bei meinen Eltern anrufen, und ich müsste nachsitzen, weil ich auf den Steinen war.«
»Das war der Thode, den kenne ich«, rief Mehtap. »Der schimpft doch immer!«
»Das ist gemein!«, brüllte ein anderer dazwischen. »Der hat nie gesagt, dass das verboten ist und die anderen Lehrer auch nicht.«
»Das stimmt! Es hat noch nie einer gemeckert, wenn wir auf den Steinen waren. Und heute brüllt er auf einmal den Florian an.«
Bei den Steinen handelte es sich um Findlinge, die an der Grenze zum Schulhof der Großen lagen. Die benutzten sie bei schönem Wetter als Sitzplatz, während die Kleinen darauf herumkletterten. Es hatte schon häufiger Streiterei deswegen gegeben. Jetzt, bei eisiger Kälte, war das Klettern natürlich gefährlich. Die Steine waren uneben und in den Vertiefungen hatte sich Wasser gesammelt, das gefroren war. Deswegen konnte sie den Kollegen gut verstehen, der das Klettern auf den Steinen verboten hatte. Aber das hätte er doch auch mit den Grundschulkollegen klären können, statt gleich mit einem Anruf bei den Eltern zu drohen.
»Letzte Woche hat er mir eine Ohrfeige gegeben. Das darf der gar nicht. Das ist verboten. Ich hab es meinem Papa gesagt.«
»Und?«, fragte Helga neugierig. Daniel gehörte zu jenen Kindern, dessen Eltern sich kaum kümmerten, die aber sofort frech wurden, wenn in der Schule etwas geschah, das ihnen missfiel. Dann wurde mit Schulamt und Gericht gedroht.
»Was hat dein Papa gesagt?«
Daniel verzog den Mund. Er wollte nicht so recht mit der Sprache heraus. »Nichts, eigentlich hat er nichts gesagt. Nur irgendetwas über die Typen vom Gymnasium.«
Helga hatte Ähnliches erwartet. Ihr sollte es egal sein. Es wurde höchste Zeit, mit dem Rechtschreiben zu beginnen. Da waren zwar nicht alle, aber die meisten ruhig.
In der Pause ging sie stracks hoch ins Lehrerzimmer, wo man ihr mitteilte, dass Oberstudiendirektor Hohlberg sie sofort zu sprechen wünsche. Das klang nicht gut. Während sie über die langen Flure ging, dachte sie über die Vorkommnisse der letzten Zeit nach. Sie fand nichts, das den Direktor interessieren müsste, es sei denn die Sache mit Florian heute Morgen. Mit einem Kopfnicken wies Frau Jürgens sie ins Allerheiligste. »Ah, Frau Renner. Ich habe mit Ihnen zu reden. Mir sind da Sachen zu Ohren gekommen, die so nicht passieren dürfen.«
Helgas Gesicht verzog sich zu einem einzigen Fragezeichen. »Was ist los? Worum geht es?«
»Wenn Sie Materialien brauchen, dann sagen Sie das bitte den verantwortlichen Kollegen. Ich weiß nicht, wie das bei Ihnen gehandhabt wird, aber bei uns gibt es keine Selbstbedienung.«
»Wenn Sie die Deutschlandkarte meinen, die ...«
»Ich spreche von Datenträgern, Papier und Toner. Seitdem Sie und Ihre Kolleginnen hier sind, sind unsere Vorräte rapide zur Neige gegangen. Ich weiß, dass Sie einen Computer in Ihrer Klasse stehen haben.« Der befand sich zwar in Ellis Klasse, aber das war im Moment egal.
»Und Sie glauben tatsächlich, wir würden uns an Ihrem Schuleigentum vergreifen? Wir haben weder das eine noch das andere gebraucht. Ich weiß nicht einmal, wo das Zeug liegt. Die Spiele, die wir benötigen, haben wir mitgebracht. An unserem Computer ist kein Drucker angeschlossen. Zum einen ist hier viel zu wenig Platz, zum anderen brauchen wir den nicht. Wozu
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