Rentner-WG - ein Best-Ager-Roman aus Frankfurt
einem Stöhnen sank er wieder zurück.
„Autsch!“
Er betastete seinen Hinterkopf, an dem sich eine Beule bildete, und schaute misstrauisch auf seine Hand. Leni musste lächeln.
„Keine Bange, Sie verbluten nicht. Aber Sie werden einen ordentlichen Brummschädel kriegen. Soll ich einen Arzt rufen?“
„Nein!“
Das klang geradezu entsetzt. Leni half ihm, sich hinzusetzen. Er war nicht sehr groß, aber stämmig und in seinem kraftlosen Zustand schwer zu bewegen.
„Sie waren ohnmächtig. Ist Ihnen schwindlig oder übel? Sehen Sie verschwommen?“
Er schüttelte den Kopf. Leni stellte erleichtert fest, dass wieder etwas Farbe in sein Gesicht kam.
„Ich bin Frau Brandner. Wir haben gestern telefoniert“, erklärte sie ruhig.
Es schien ihm wieder einzufallen. Sie half ihm auf die Beine.
„Gehen wir erst mal ins Wohnzimmer“, schlug sie vor.
Sie hakte ihn unter und schleppte ihn mühsam zu einem Sessel, der vor dem offenen Kamin stand. Schwer atmend ließ er sich hinein fallen. So etwas hatte ihr heute gerade noch gefehlt. Unschlüssig blieb sie neben ihm stehen.
„Sind Sie allein?“
Arthur nickte. Am liebsten hätte sie auf dem Absatz kehrt gemacht, aber sie konnte diesen Mann jetzt nicht einfach seinem Schicksal überlassen. Und außerdem brauchte sie dringend eine Bleibe.
„Soll ich Kaffee machen? Der würde Ihnen sicher gut tun.“
„Aber
Sie
sind doch der Gast.“
„Das mach’ ich schon. Bleiben Sie ruhig sitzen, bis es Ihnen besser geht. Wo ist die Küche?“
Er zeigte vage Richtung Flur. In der Küchentür blieb Leni erschrocken stehen. Noch nie im Leben hatte sie ein solches Chaos gesehen. Der Abfalleimer quoll über, auf dem Tisch stand eine ganze Batterie leerer Flaschen, und die Spüle war voll mit schmutzigen Gläsern. Alles war total verdreckt, sogar der Fußboden klebte unter ihren Schuhen. Hatte hier eine Party stattgefunden?
Sie setzte die Kaffeemaschine in Betrieb und suchte nach zwei sauberen Tassen. Nach ein paar Minuten kam sie mit einem Tablett ins Wohnzimmer zurück.
„Ich weiß nicht, ob Sie Milch oder Zucker nehmen, habe auch nichts gefunden.“
„Entschuldigen Sie, ich hab Ihren Namen schon wieder vergessen.“
Seine Stimme klang ganz anders als am Telefon. Hoch und dünn, eine richtige Greisenstimme. Leni versuchte, ihr Entsetzen zu verbergen.
„Ich bin Leni Brandner. Wir waren verabredet wegen der Untermiete. Erinnern Sie sich?“
„Ach ja, jetzt weiß ich es wieder.“
Er starrte schweigend vor sich hin. Na, das würde zäh werden. Zumindest roch der Kaffee gut. Leni trank einen Schluck und sah sich um. Es lag eine merkwürdige Stimmung in der Luft. Was war hier eigentlich los? Warum war Herr Winkler ohnmächtig geworden? Sie betrachtete ihn genauer.
Besondere Mühe mit seiner Kleidung hatte er sich nicht gegeben für ihren Besuch. Er trug eine zerknautschte Trainingshose und darüber ein kariertes Hemd, das sehr schmutzig war. Beides sah aus, als hätte er es schon seit Tagen an. Ein ehemals weißes Unterhemd lugte hervor, das einen dunklen Fleck hatte. Sie schätzte, dass er etwas älter war als sie, so um die sechzig. Sein Gesicht hatte tiefe Falten, und die paar Haare, die er noch hatte, standen ihm in langen Strähnen vom Kopf ab. Wenigstens hatte er jetzt nicht mehr diese Vampirfarbe.
Leni hielt das Schweigen nicht mehr aus.
„Ist Ihre Frau nicht da?“
Sie erinnerte sich genau, dass auf dem Zettel ein Frauenname gestanden hatte. Er zuckte zusammen. Was konnte an dieser Frage falsch sein? Mit zittrigen Händen griff er nach dem Kaffee und trank.
„Sie können das ja nicht wissen.“
Er sprach so leise, dass sie sich vorbeugen musste, um ihn zu verstehen.
„Meine Frau ist gestorben. Ist noch nicht lange her.“
Leni legte erschrocken die Hand auf den Mund. Mein Gott, wie schrecklich!
„Oh, das tut mir leid“, brachte sie mühsam heraus.
„Soll ich nicht doch einen Arzt rufen? Sie sehen nicht sehr gut aus.“
„Lassen Sie nur, das geht schon“, wehrte er ab.
„Es war nur so heiß im Schlafzimmer, und dann hab ich das Bett gesehen, wo sie...“
Er brach ab. Leni empfand tiefes Mitleid. Das erklärte allerdings so manches. Herr Winkler hatte wohl viel durchgemacht in letzter Zeit.
„Wollen Sie darüber reden? Manchmal ist es leichter, jemand Fremdem etwas zu erzählen.“
Nach einer längeren Pause fing er stockend an.
„Meine Maria war eine feine Frau. Ein altmodisches Wort, aber so war sie. Fein, nie laut, immer zufrieden.
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