Replay - Das zweite Spiel
erste große Interview seiner Karriere zu führen, ein langes, freimütiges Telefongespräch mit dem in Ruhestand gehenden Präsidenten des US Supreme Court, Earl Warren. Er hatte nie begriffen, warum Warren eingewilligt hatte, mit ihm, einem nicht akkreditierten Anfängerreporter von einem kleinen Radiosender in Florida, zu sprechen; irgendwie aber hatte er es durchgezogen, und NBC hatte sich die pointierten Grübeleien des großen Mannes über seine kontroverse Amtszeit eine stattliche Summe kosten lassen. Binnen eines Monats hatte Jeff eine Vollzeitstelle als Nachrichtenreporter bei WIOD in Miami. Er hatte den Durchbruch geschafft - sein ganzes Leben als Erwachsener, so wie es gewesen war, ließ sich bis zu dieser Sommerwoche zurückverfolgen.
Er hatte keinen besonderen Grund gehabt, sich Boca Raton auszusuchen, und keinen Grund, es nicht zu tun. Eines Montags war er nach Norden gefahren, nach Juno Beach; an anderen Montagen fuhr er vielleicht nach Delray Beach oder Lighthouse Point, an einen der vielen zusammenhängenden Streifen Sand und Zivilisation, welche die Atlantikküste von Melbourne bis nach South Miami Beach säumten. Am 24. Juni 1968 aber hatte er eine Decke, ein Handtuch und eine Kühlbox voller Bier an den Strand von Boca Raton mitgenommen. Und jetzt befand er sich wieder am selben Ort, am selben sonnigen Tag.
Und da war sie, lag in einem gelben Bikini mit Hakenverschluss auf dem Bauch, den Kopf auf ein aufblasbares Strandkissen gelegt, und las in einer Hardcoverausgabe von ›Airport‹. Jeff blieb in drei Metern Abstand von ihr stehen und musterte ihren jugendlichen Körper und die zitronengelben Strähnen in ihrem dichten braunen Haar. Der Sand unter seinen Füßen war heiß, die Brandung war das Echo des Hämmerns in seinem Kopf. Einen Moment lang hätte er sich beinahe abgewandt und wäre weggegangen, doch er tat es nicht.
»Hi«, sagte er. »Ist das Buch gut?«
Das Mädchen blickte durch eine scharfrandige, eulenhafte Sonnenbrille zu ihm auf und zuckte die Achseln. »Etwas kitschig, aber es macht Spaß. Würde wahrscheinlich einen besseren Film abgeben.«
Oder mehrere, dachte Jeff. »Schon 2001 gesehen?«
»Klar, aber ich weiß nicht, was das Ganze soll, und gegen Schluss war es ein bisschen langatmig. Petulia hat mir besser gefallen, mit Julie Christie, weißt du?«
Er trat näher, versuchte sein Lächeln natürlicher wirken zu lassen, entspannter. »Ich heiße Jeff. Was dagegen, wenn ich mich zu dir setze?«
»Nur zu. Ich bin Linda«, erwiderte die Frau, die einmal achtzehn Jahre lang mit ihm verheiratet gewesen war.
Er breitete seine Decke aus, öffnete die Kühlbox und bot ihr ein Bier an. »Sommerferien?«, fragte er.
Sie verlagerte das Gewicht auf einen Ellbogen und nahm die beschlagene Flasche entgegen. »Ich gehe aufs Florida Atlantic College, aber meine Familie lebt hier in der Stadt. Was ist mit dir?«
»Ich bin in Orlando aufgewachsen, hab eine Zeit lang Emory besucht. Jetzt lebe ich in New York.«
Jeff war um ein lässiges Auftreten bemüht, hatte jedoch damit seine liebe Mühe. Er konnte den Blick einfach nicht von ihrem Gesicht abwenden und wünschte, sie hätte die verdammte Sonnenbrille abgenommen, damit er die Augen sehen konnte, die er einmal so gut gekannt hatte. Die letzte Erinnerung an sie hallte in seinem Schädel wider, blechern und fern, eine Telefonstimme: »Wir brauchen … Wir brauchen … Wir brauchen …«
»Ich sagte, was machst du hier oben?«
»Oh, tut mir Leid, ich …« Er nahm einen kräftigen Schluck von dem eiskalten Bier, versuchte einen klaren Kopf zu bekommen. »Ich bin wegen Geschäften hier.«
»Welcher Art?«
»Investitionen.«
»Soll das heißen, du bist eine Art Börsenmakler?«
»Eigentlich nicht. Ich habe eine eigene Firma. Wir arbeiten mit einer Menge Maklern zusammen. Aktien, Immobilien, Investmentfonds… so was.«
Sie senkte die großen runden Gläser der Sonnenbrille und musterte ihn erstaunt. Er blickte in die vertrauten braunen Augen und wollte sagen: »Dieses Mal wird es anders«, oder: »Bitte, versuchen wir’s noch mal«, oder sogar bloß: »Du hast mir gefehlt, ich hatte vergessen, wie schön du warst.« Er sagte jedoch nichts, blickte nur mit stiller Hoffnung in ihre Augen.
»Dir gehört die ganze Firma?«, fragte sie ungläubig.
»Jetzt ja. Bis vor ein paar Jahren hatte ich einen Partner, aber… jetzt gehört alles mir.«
Sie stellte das Bier in den Sand und bewegte die Flasche knirschend vor und zurück, bis
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